Montag, 28. Oktober 2019

Mich hat der süße kleine Gott in einen bösen Weltwinckel relegirt. Die öffentlichen Mädchen der Lust sind unsicher wie überall. Die Zitellen (unverheurathete Mädchen) sind keuscher als irgendwo,sie lassen sich nicht anrühren und fragen gleich, wenn man artig mit ihnen thut: e che concluderemo? Denn entweder soll man sie heurathen oder verheurathen und wenn sie einen Mann haben, dann ist die Messe gesungen. Ja man kann fast sagen, daß alle verheurathete Weiber dem zu Gebote stehn, der die Familie erhalten will. Das sind denn alles böse Bedingungen und zu naschen ist nur bey denen, die so unsicher sind als öffentliche Creaturen. Was das Herz betrifft; so gehört es gar nicht in die Terminologie der hiesigen Liebeskanzley.
Nach diesem Beytrag zur statistischen Kenntnis des Landes werden Sie ein sonderbar Phenomen begreifen, das ich nirgends so starck als hier gesehen habe, es ist die Liebe der Männer untereinander. Vorausgesetzt daß sie selten biß zum höchsten Grad der Sinnlichkeit getrieben wird, sondern sich in den mittlern Regionen der Neigung und Leidenschaft verweilt; so kann ich sagen, daß ich die schönsten Erscheinungen davon, welche wir nur aus griechischen Überlieferungen haben .. hier mit eignen Augen sehen und als ein aufmercksamer Naturforscher, das phisische und moralische davon beobachten konnte.

Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es?

Samstag, 26. Oktober 2019

Sich den Obern zu widersetzen, einem Sieger störrig und widerspenstig zu begegnen, damm weil um Griechisch und Lateinisch im Leibe steckt, er aber von diesen Dingen wenig oder nichts versteht, ist kindisch und abgeschmackt. Das ist Professorstolz, wie es Handwerksstolz, Bauernstolz und dergleichen gibt, der seinen Inhaber eben so lächerlich macht, als er ihm schadet.
Wir haben die Propyläen noch nicht gesehn. Was brauchen wir auch die Vorhöfe, da wir das Allerheiligste selber besitzen. Er lebt alleweil mitten unter uns; gestern habe ich mit ihm soupiert, heute werde ich mit ihm soupieren, und nächstens gebe ich ihm selbst eine Fête. Kommen Sie dann auch.
Sonderbar war es, dass ich auf äußere Veranlassung verschiedene Maßregeln nehmen musste, welche mich in neue Verhältnisse setzten, wodurch mein Aufenthalt in Rom immer schöner, nützlicher und glücklicher ward. Ja, ich kann sagen, dass ich die höchste Zufriedenheit meines Lebens in diesen letzten acht Wochen genossen habe und nun wenigstens einen äußersten Punkt kenne, nach welchem ich das Thermometer meiner Existenz künftig abmessen kann. 

Mein Abschied von hier betrübt drei Personen innigst. Sie werden nie wieder finden, was sie an mir gehabt haben, ich verlasse sie mit Schmerzen. In Rom hab' ich mich selbst zuerst gefunden, ich bin zuerst übereinstimmend mit mir selbst glücklich und vernünftig geworden, und als einen solchen haben mich diese dreie in verschiedenem Sinne und Grade gekannt, besessen und genossen.

Freitag, 25. Oktober 2019


20. Jan. 87 abends

Dein Brief vom 1. Jan. ist mir gekommen und hat mir Freude und Schmertzen gebracht. Dazu kann ich nichts weiter sagen als: ich habe nur Eine Existenz, diese hab ich diesmal ganz gespielt und spiele sie noch. Komm ich leiblich und geistlich davon, überwältigt meine Natur, mein Geist, mein Glück, diese Krise, so ersetz ich dir tausendfältig was zu ersetzen ist. – Komm ich um, so komm ich um, ich war ohne dies zu nichts mehr nütze.
Ach liebe Lotte du weist nicht welche Gewalt ich mir angethan habe und anthue und daß der Gedancke dich nicht zu besitzen mich doch im Grunde, ich mags nehmen und stellen und legen wie ich will aufreibt und aufzehrt. Ich mag meiner Liebe zu dir Formen geben welche ich will, immer immer – Verzeih mir daß ich dir wieder einmal sage was so lange stockt und verstummt. Wenn ich dir meine Gesinnungen meine Gedancken der Tage, der einsamsten Stunden sagen könnte. Leb wohl. Ich bin heute konfus und fast schwach. Leb wohl Liebe mich, ich gehe nun weiter und du hörst bald von mir und sollst durch mich noch ein Stück Welt weiter kennen lernen.  Rom d. 21. Febr. 87. 
An dir häng ich mit allen Fasern meines Wesens. Es ist entsetzlich was mich oft Erinnerungen zerreisen.

Mittwoch, 16. Oktober 2019


Kupido, loser, eigensinniger Knabe,
Du batst mich um Quartier auf einige Stunden!
Wie viele Tag’ und Nächte bist du geblieben,
Und bist nun herrisch und Meister im Hause geworden.

Jeder Satz zeugt von Genesung und von dem Hochgefühl neuer Kraft. In der Vergangenheit lag der Nebel einer verschwommenen Existenz. In der Gegenwart strahlte das Licht der zuverlässigen Erkenntnis. Und in der Zukunft kündigten sich noch unübersehbare Möglichkeiten sicheren Wissens und Schaffens an.

An Carl August. - Die Hauptabsicht meiner Reise war: mich von den physisch moralischen Übeln zu heilen, die mich in Deutschland quälten und mich zuletzt unbrauchbar machten; sodann den heißen Durst nach wahrer Kunst zu stillen, das erste ist mir ziemlich, das letzte ganz geglückt. 

Donnerstag, 10. Oktober 2019


Von meinem breiten Lager bin ich vertrieben,
Nun sitz’ ich an der Erde Nächte, gequält,
Dein Mutwill’ schüret Flamm’ auf Flamme des Herdes,
Verbrennt den Vorrat des Winters und sengt mich Armen. 


Wenn man vorstehendes Liedchen nicht in buchstäblichem Sinn nehmen, nicht jenen Dämon, den man gewöhnlich Amor nennt, dabei denken, sondern eine Versammlung tätiger Geister sich vorstellen will, die das Innerste des Menschen ansprechen, auffordern, hin und wider ziehen und durch geteiltes Interesse verwirren, so wird man auf eine symbolische Weise an dem Zustand teilnehmen, in dem ich mich befand, und welchen die Auszüge aus Briefen und die bisherigen Erzählungen genugsam darstellen. Man wird zugestehen, dass eine große Anstrengung gefordert ward, sich gegen so vieles aufrecht zu erhalten, in Tätigkeit nicht zu ermüden und im Aufnehmen nicht lässig zu werden. 

Du hast mir mein Gerät verstellt und verschoben,
Ich such’ und bin wie blind und irre geworden.
Du lärmst so ungeschickt, ich fürchte, das Seelchen
Entflieht, um dir zu entfliehn, und räumet die Hütte. 




Nachts durch die Stadt spazierend, gelangt' ich zum Molo. Dort sah ich mit einem Blick den Mond, den Schein desselben auf den Wolkensäumen, den sanft bewegten Abglanz im Meere, heller und lebhafter auf dem Saum der nächsten Welle. Und nun die Sterne des Himmels, die Lampen des Leuchtturms, das Feuer des Vesuvs, den Widerschein davon im Wasser und viele einzelne Lichter ausgesät über die Schiffe.
Das dritte Buch von Goethes Italienerinnerungen beginnt mit einem lateinischen Gebet, das Romulus bei der Gründung Roms spricht:

Longa sit huic, aetas dominaeque potentia terrae,
Sitque sub hac oriens occiduusque dies.
(Ovid, Fastorum libri)

Langes Leben sei ihr beschieden und Macht zur Herrschaft über die Welt,
und untertan sei ihr die aufgehende und untergehende Sonne.