Samstag, 26. August 2017

Auf einem Schimmel kam die liebenswürdige Amazone aus den Büschen, nahte sich ihm und stieg ab. Ihr menschenfreundliches Bemühen hieß sie gehen und kommen; endlich stand sie vor ihm. Das Kleid fiel von ihren Schultern; ihr Gesicht, ihre Gestalt fing an zu glänzen, und sie verschwand.

„Es giebt wunderliche Kritiker,“ fuhr Goethe fort. „An diesem Roman tadelten sie, daß der Held sich zu viel in schlechter Gesellschaft befinde. Dadurch aber, daß ich die sogenannte schlechte Gesellschaft als Gefäß betrachtete, um das, was ich von der guten zu sagen hatte, darin niederzulegen, gewann ich einen poetischen Körper und einen mannigfaltigen dazu. Hätte ich aber die gute Gesellschaft wieder durch sogenannte gute Gesellschaft zeichnen wollen, so hätte niemand das Buch lesen mögen.“
Den anscheinenden Geringfügigkeiten des ›Wilhelm Meister‹ liegt immer etwas Höheres zum Grunde, und es kommt bloß darauf an, daß man Augen, Weltkenntniß und Ubersicht genug besitze, um im Kleinen das Größere wahrzunehmen. Andern mag das gezeichnete Leben als Leben genügen. 
Der lebhafte Trieb nach Amerika zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts war groß, indem ein jeder, der sich diesseits einigermaßen unbequem fand, sich drüben in Freiheit zu setzen hoffte; dieser Trieb ward genährt durch wünschenswerte Besitzungen, die man erlangen konnte, ehe sich noch die Bevölkerung weiter nach Westen verbreitete. Ganze sogenannte Grafschaften standen noch zu Kauf an der Grenze des bewohnten Landes, auch der Vater unseres Herrn hatte sich dort bedeutend angesiedelt. Wie aber in den Söhnen sich oft ein Widerspruch hervortut gegen väterliche Gesinnungen, so zeigte sich’s auch hier. Unser Hausherr als Jüngling nach Europa gelangt fand sich hier ganz anders; diese unschätzbare Kultur seit mehreren tausend Jahren entsprungen, gewachsen, ausgebreitet, gedämpft, gedrückt, nie ganz erdrückt, wieder aufatmend, sich neu belebend und nach wie vor in unendlichen Tätigkeiten hervortretend gab ihm ganz andere Begriffe, wohin die Menschheit gelangen kann. Er zog vor, an den großen unübersehlichen Vorteilen sein Anteil hinzunehmen und lieber in der großen geregelt tätigen Masse mitwirkend sich zu verlieren, als drüben über dem Meere um Jahrhunderte verspätet den Orpheus und Lykurg zu spielen; er sagte: „Überall bedarf der Mensch Geduld, überall muß er Rücksicht nehmen, und ich will mich doch lieber mit meinem König abfinden, daß er mir diese oder jene Gerechtsame zugestehe, lieber mich mit meinem Nachbarn vergleichen, daß sie mir gewisse Beschränkungen erlassen, wenn ich ihnen von einer andern Seite nachgebe, als daß ich mich mit den Irokesen herumschlage um sie zu vertreiben, oder sie durch Kontrakte betriege, um sie zu verdrängen, aus ihren Sümpfen, wo man von Mosquitos zu Tode gepeinigt wird.“ Er übernahm die Familiengüter, wußte sie freisinnig zu behandeln, sie wirtschaftlich einzurichten, weite unnütz scheinende Nachbarsdistrikte klüglich anzuschließen und so sich innerhalb der kultivierten Welt, die in gewissem Sinne auch gar oft eine Wildnis genannt werden kann, ein mäßiges Gebiet zu erwerben und zu bilden, das für die beschränkten Zustände immer noch utopisch genug ist.

Mittwoch, 23. August 2017


Zählst du dich zu jenen Helden?
Zeige deine Wunden an!
Die mir Rühmliches vermelden,
Und ich führe dich heran.

Samstag, 19. August 2017

Unaufhörlich rief er sich jene Begebenheit zurück, welche einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Gemüt gemacht hatte. Er sah die schöne Amazone reitend aus den Büschen hervorkommen, sie näherte sich ihm, stieg ab, ging hin und wider und bemühte sich um seinetwillen. Er sah das umhüllende Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Gesicht, ihre Gestalt glänzend verschwinden. Alle seine Jugendträume knüpften sich an dieses Bild. Er glaubte nunmehr die edle, heldenmütige Chlorinde mit eignen Augen gesehen zu haben: ihm fiel der kranke Königssohn wieder ein, an dessen Lager die schöne, teilnehmende Prinzessin mit stiller Bescheidenheit herantritt.
Von dem Wilhelm Meister und dem Hesperus ab stellen sie alle den Jüngling jener Tage dar; wie er in glücklicher Dämmerung in das Leben eintritt, nach verwandten Seelen sucht, der Freundschaft begegnet und der Liebe, wie er nun aber mit den harten Realitäten der Welt in Kampf gerät und so unter mannigfaltigen Lebenserfahrungen heranreift, sich selber findet und seiner Aufgabe in der Welt gewiss wird. 

Dienstag, 15. August 2017


Dich betrügt der Staatsmann, der Pfaffe, der Lehrer der Sitten,
Und diess Kleeblatt wie tief betest du Pöbel es an.
Leider lässt sich noch kaum was rechtes denken und sagen
Das nicht grimmig den Staat, Götter und Sitten verletzt.

Sonntag, 13. August 2017


Betrachte nun den äußern Umriß! Wie gedrängt markig!

Und wiederholt die Ehernheit der Stirne, die Wirksamkeit des Augenknochens, den gefällig festen Raum an der Seite des Auges, sie Stärke der Wangen, die Fülle des Mundes und des Kinns anschließende Kraft!

Ich habe geendigt, und schaue wieder, und fange wieder von vorne an!

Mann verschlossener Tat! langsam reifender, aus tausend Eindrücken zusammen auf einen Punkt gewirkter, auf einen Punkt gedrängter Tat! In dieser Stirne ist nichts Gedächtnis, nichts Urteil, es ist ewig gegenwärtiges, ewig wirkendes, nie ruhendes Leben, Drang und Weben! Welche Fülle in den Wölbungen aller Teile! wie angespannt das Ganze! Dieses Auge faßt den Baum bei der Wurzel.