Donnerstag, 29. Mai 2014

Um nichts zu versäumen habe ich gleich einen Teil des ersten Genußes aufgeopfert und habe die Ruinen in Gesellschaft von Baukünstlern, die übrigen Kunstwercke mit andern Künstlern gesehen und dabey bemercken können: daß ein Leben voll Thätigkeit und Übung kaum hinreicht unsre Kenntniß auf den höchsten Punckt der Reinheit zu bringen. Und doch wäre nur diese Sicherheit und Gewißheit die Dinge für das zu nehmen was sie sind, selbst die besten Sachen einander subordiniren zu können, jedes im Verhältniße zum andern zu betrachten der größte Genuß nach dem wir im Kunst wie im Natur und Lebenssinne streben sollten. Indessen sehe ich fleißig ohne mich aufzuspannen und freue mich wenn mir von Zeit zu Zeit ein neues Licht erscheint.
Hier kann ich eine Betrachtung nicht verschweigen die ich gemacht habe: daß es nämlich bequemer und leichter sey die Natur als die Kunst zu beobachten und zu schätzen. Das geringste Produckt der Natur hat den Kreis seiner Vollkommenheit in sich und ich darf nur Augen haben um zu sehen, so kann ich die Verhältniße entdecken, ich bin sicher daß innerhalb eines kleinen Cirkels eine ganze wahre Existenz beschloßen ist. Ein Kunstwerck hingegen hat seine Vollkommenheit ausser sich, das »Beste« in der Idee des Künstlers, die er selten oder nie erreicht, die folgenden in gewissen angenommen Gesetzen, welche zwar aus der Natur der Kunst und des Handwercks hergeleitet, aber doch nicht so leicht zu verstehen und zu entziffern sind als die Gesetze der lebendigen Natur. Es ist viel Tradition bey den Kunstwercken, die Naturwercke sind immer wie ein erstausgesprochnes Wort Gottes. Kommen denn nun gar noch handwercksmäsige Copisten hinzu; so entsteht eine neue Verwirrung und wer nicht sehr geübt ist, weiß sich nicht zu finden.
Verzeihen Ew. Durchl. daß ich statt anschaulicher Erzählung und Beschreibung ein trocknes Resultat hersetze, das ich vielleicht nicht einmal so bestimmt und deutlich als ich sollte ausgedruckt habe. Wenigstens sehen Ew. Durchl. daran den guten Willen das Beste zu geben was ich vermag.

Freitag, 23. Mai 2014


Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?
 
Eine Weile bey Klettenberg, allein und mit Goethe. Ein herrlicher Abend. Von Gebet-Erhörungen. Friede im Krieg. „Wenn ihr stille werdet so wird Euch geholfen, sagte Goethe, in einem recht brüderlichen Ton.

Eines schickt sich nicht für alle,
Jeder sehe, wie er's treibe,
Jeder sehe, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle.
Während Goethe so mit einer Kraft und einem Reichtum des Ausdruckes sprach, wie ich in ganzer Wahrheit wiederzugeben nicht imstande bin, glänzten seine Augen von einem außerordentlichen Feuer. Man sah darin den Ausdruck des Triumphes, während ein ironisches Lächeln um seine Lippen spielte. Die Züge seines schönen Gesichtes waren imposanter als je.

Mittwoch, 14. Mai 2014

Bei Goethe zu Tisch in heiteren Gesprächen. Eine junge Schönheit der weimarischen Gesellschaft kam zur Erwähnung, wobei einer der Anwesenden bemerkte, daß er fast auf dem Punkt stehe sie zu lieben, obgleich ihr Verstand nicht eben glänzend zu nennen.
»Pah!« sagte Goethe lachend, »als ob die Liebe etwas mit dem Verstande zu tun hätte! Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge als den Verstand. Wir lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckische, das Zutrauliche, den Charakter, ihre Fehler, ihre Kapricen, und Gott weiß was alles Unaussprechliche sonst; aber wir lieben nicht ihren Verstand. Ihren Verstand achten wir, wenn er glänzend ist, und ein Mädchen kann dadurch in unsern Augen unendlich an Wert gewinnen. Auch mag der Verstand gut sein, uns zu fesseln, wenn wir bereits lieben. Allein der Verstand ist nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenschaft zu erwecken.«

Samstag, 3. Mai 2014

Jenes ungestörte, unschuldige, nachtwandlerische Schaffen, wodurch allein etwas Großes gedeihen kann, ist gar nicht mehr möglich. Unsere jetzigen Talente liegen alle auf dem Präsentierteller der Öffentlichkeit. Die täglich an funfzig verschiedenen Orten erscheinenden kritischen Blätter und der dadurch im Publikum bewirkte Klatsch lassen nichts Gesundes aufkommen. Wer sich heutzutage nicht ganz davon zurückhält und sich nicht mit Gewalt isoliert, ist verloren. Es kommt zwar durch das schlechte, größtenteils negative ästhetisierende und kritisierende Zeitungswesen eine Art Halbkultur in die Massen, allein dem hervorbringenden Talent ist es ein böser Nebel, ein fallendes Gift, das den Baum seiner Schöpfungskraft zerstört, vom grünen Schmuck der Blätter bis in das tiefste Mark und die verborgenste Faser.
Und dann, wie zahm und schwach ist seit den lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben selber geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur unverhüllt entgegen! Und wo hat einer die Kraft, wahr zu sein und sich zu zeigen, wie er ist! Das wirkt aber zurück auf den Poeten, der alles in sich selber finden soll, während von außen ihn alles in Stich läßt.
Das Gespräch wendete sich auf den ›Werther‹. »Das ist auch so ein Geschöpf,« sagte Goethe, »das ich gleich dem Pelikan mit dem Blut meines eigenen Herzens gefüttert habe. Es ist darin so viel Innerliches aus meiner eigenen Brust, so viel von Empfindungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman von zehn solcher Bändchen auszustatten. Übrigens habe ich das Buch, wie ich schon öfter gesagt, seit seinem Erscheinen nur ein einziges Mal wieder gelesen und mich gehütet, es abermals zu tun. Es sind lauter Brandraketen! Es wird mir unheimlich dabei, und ich fürchte, den pathologischen Zustand wieder durchzuempfinden, aus dem es hervorging.«