Montag, 29. Oktober 2012
Mittwoch, 24. Oktober 2012
Noch immer auf der Wooge mit meinem kleinen Kahn, und wenn die Sterne sich verstecken schweb ich so in der Hand des Schicksaals hin und Muth und Hoffnung und Furcht und Ruh wechseln in meiner Brust. Seit ich die Krafft der Worte στηϑος und πραπιδες fühle, ist mir in mir selbst eine neue Welt aufgegangen. Armer Mensch an dem der Kopf alles ist! Ich wohne ietzt in Pindar, und wenn die Herrlichkeit des Pallasts glücklich machte, müsst ich's seyn.
Wenn er die Pfeile ein übern andern nach dem Wolkenziel schiest steh ich freylich noch da und gaffe; doch fühl ich indess, was Horaz aussprechen konnte, was Quintilian rühmt, und was tätiges an mir ist lebt auf da ich Adel fühle und Zweck kenne. Ειδως φυα, ψεφηνος ανηρ, μυριαν αρεταν ατελει νοω γευεται, ουποτ ατρεκει κατεβα ποδι, μαϑοντες pp. Diese Worte sind mir wie Schwerdter durch die Seele gangen. Ihr wisst nun wie's mit mir aussieht, und was mir euer Brief in diesem Philocktetschen Zustande worden ist.
Seit ich nichts von euch gehört habe, sind die Griechen mein einzig Studium. Zuerst schränckt ich mich auf den Homer ein, dann um den Sokrates forscht ich in Xenophon und Plato, da gingen mir die Augen über meine Unwürdigkeit erst auf, gerieth an Theokrit und Anakreon, zuletzt zog mich was an Pindarn wo ich noch hänge. Sonst hab ich gar nichts getahn, und es geht bey mir noch alles entsetzlich durch einander. Auch hat mir endlich der gute Geist den Grund meines spechtischen Wesens entdeckt. Über den Worten Pindars επικρατειν δυνασϑαι ist mirs aufgegangen.
Wenn du kühn im Wagen stehst, und vier neue Pferde wild unordentlich sich an deinen Zügeln bäumen, du ihre Krafft lenckst, den austretenden herbey, den aufbäumenden hinabpeitschest, und iagst und lenckst und wendest, peitschest, hältst, und wieder ausjagst biss alle sechzehn Füsse in einem Tackt ans ziel tragen. Das ist Meisterschafft, επικρατειν, Virtuosität. Wenn ich nun aber überall herumspaziert binn, überall nur drein geguckt habe. Nirgends zugegriffen. Dreingreiffen, packen ist das Wesen ieder meisterschafft.
Samstag, 20. Oktober 2012
Madame Roland, auf dem Blutgerüste, verlangte Schreibzeug, um die ganz besondern Gedanken aufzuschreiben, die ihr auf dem letzten Wege vorgeschwebt. Schade, dass man ihr's versagte; denn am Ende des Lebens gehen dem gefassten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbare; sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen.
Man sagt sich oft im Leben, dass man die Vielgeschäftigkeit, Polypragmosyne, vermeiden, besonders, je älter man wird, sich desto weniger in ein neues Geschäft einlassen solle. Aber man hat gut reden, gut sich und anderen raten. Älter werden heisst selbst ein neues Geschäft antreten; alle Verhältnisse verändern sich, und man muss entweder zu handeln ganz aufhören oder mit Willen und Bewusstsein das neue Rollenfach übernehmen.
Was wir von Natur sehn, ist Kraft, die Kraft verschlingt, nichts gegenwärtig, alles vorübergehend, tausend Keime zertreten, jeden Augenblick tausend geboren, gross und bedeutend, mannigfaltig ins Unendliche; schön und hässlich, gut und bös, alles mit gleichem Rechte nebeneinander existierend. Und die Kunst ist gerade das Widerspiel; sie entspringt aus den Bemühungen des Individuums, sich gegen die zerstörende Kraft des Ganzen zu erhalten. Schon das Tier durch seine Kunsttriebe scheidet, verwahrt sich; der Mensch durch alle Zustände befestigt sich gegen die Natur, ihre tausendfache Übel zu vermeiden und nur das Mass von Gutem zu geniessen; bis es ihm endlich gelingt, die Zirkulation aller seiner wahr' und gemachten Bedürfnisse in einen Palast einzuschliessen, sofern es möglich ist, alle zerstreute Schönheit und Glückseligkeit in seine gläserne Mauern zu bannen, wo er denn immer weicher und weicher wird, den Freuden des Körpers Freuden der Seele substituiert und seine Kräfte, von keiner Widerwärtigkeit zum Naturgebrauche aufgespannt, in Tugend, Wohltätigkeit, Empfindsamkeit zerfliessen.
Montag, 15. Oktober 2012
Es habe schon damals eine gewaltige Furcht vor dem Zustande nach dem Tode in den Köpfen der Menschen gespukt, ähnlich dem Fegfeuer-Glauben bigotter Katholiken; Lucrez sei dadurch ergrimmt, in das Extrem verfallen, von dieser Furcht durch seine Vernichtungslehre mit einem Male heilen zu wollen. Man spüre durch das ganze Lehrgedicht einen finstern, ingrimmischen Geist wandeln, der sich durchaus über die Erbärmlichkeit seiner Zeitgenossen erheben wolle. So sei es immer gewesen, auch bei Spinoza und andern Ketzern. Wären die Menschen en masse nicht so erbärmlich, so hätten die Philosophen nicht nöthig, im Gegensatz so absurd zu sein! Lucrez komme ihm in seinen abstrusen Lehrsätzen immer wie Friedrich II. vor, als dieser in der Schlacht von Collin seinen Grenadieren, die eine Batterie zu attaquiren zauderten, zurief: Ihr Hunde, wollt Ihr denn ewig leben?
Ich pries den Zufall, der ihn zum Briefwechsel über diese Vorrede verleitet habe. Da antwortete er: »was thut man denn Bedeutendes, ohne durch einzelnen Anlass aufgeregt zu sein? Die Gelegenheiten sind die wahren Musen, sie rütteln uns auf aus Träumereien und man muss es ihnen durchaus danken. Knebel hatte leider keine Collectionen über Lucrez, keine Acten, darum werde es ihm schwer, jetzt productiv und positiv zu sein. Da habe ich ganz anders gesammelt, Stösse von Excerpten und Notizen über jeden Lieblingsgegenstand.«
Wie sehr es mich ergötzt, daß dir mein Liedchen gefallen hat, glaubst du nicht, wie sehr es mich freut, einen Laut hervorzubringen, der in deine Stimmung trifft. Eben das wünscht' ich »Egmonten«, von dem du so wenig sagst und eher, daß dir daran etwas weh als wohl tut. O, wir wissen genug, daß wir eine so große Komposition schwer ganz rein stimmen können, es hat doch im Grunde niemand einen rechten Begriff von der Schwierigkeit der Kunst als der Künstler selbst.
Samstag, 13. Oktober 2012
Lass
mich ein Gleichnis brauchen. Wenn du eine glühende Masse Eisen auf dem Herde
siehst, so denkst du nicht, dass so viel Schlacken drinstecken, als sich erst
offenbaren, wenn es unter den großen Hammer kommt. Dann scheidet sich der
Unrat, den das Feuer selbst nicht absonderte, und fließt und stiebt in
glühenden Tropfen und Funken davon, und das gediegene Erz bleibt dem Arbeiter
in der Zange. Es scheint, als wenn es so eines gewaltigen Hammers bedurft habe,
um meine Natur von den vielen Schlacken zu befreien und mein Herz gediegen zu
machen. Und wieviel Unrat weiß sich auch noch da zu verstecken.
Lieben
und Hassen, Hoffen und Fürchten sind auch nur beschränkte Zustände unseres
trüben Inneren, durch welches der Geist entweder nach der Licht- oder
Schattenseite hinblickt. Blicken wir durch die trübe organische Umgebung nach
dem Lichte hin, so lieben und hoffen wir. Blicken wir nach dem Finsteren, so
hassen und fürchten wir. Beide Seiten haben ihr Anziehendes und Reizendes. Für
manche Menschen sogar die traurige mehr als die heitere.
Donnerstag, 11. Oktober 2012
"Unter Liebenden", versetzte Goethe,
"ist diese magnetische Kraft besonders stark und wirkt sogar sehr in die
Ferne. Ich habe in meinen Jünglingsjahren Fälle genug erlebt, wo auf einsamen
Spaziergängen ein mächtiges Verlangen nach einem geliebten Mädchen mich
überfiel und ich so lange an sie dachte, bis sie mir wirklich entgegenkam. 'Es
wurde mir in meinem Stübchen unruhig', sagte sie, 'ich konnte mir nicht helfen,
ich musste hierher.'"
Samstag, 6. Oktober 2012
Ferne sei es von uns, den übelgedachten und übelgeschriebenen Text, den wir vor uns haben, zu kommentieren; nicht ohne Unwillen werden unsre Leser jene Blätter am angezeigten Orte durchlaufen und die ungebildete Anmassung, womit man sich in einen Kreis von Bessern zu drängen, ja Bessere zu verdrängen und sich an ihre Stelle zu setzen denkt, diesen eigentlichen Sansculottismus zu beurteilen und zu bestrafen wissen. Nur weniges werde dieser rohen Zudringlichkeit entgegengestellt.
Mittwoch, 3. Oktober 2012
Aber dergleichen liegt sehr wohl in der Natur, wenn
wir auch dazu noch nicht den rechten Schlüssel haben. Wir wandeln alle in Geheimnissen.
Wir sind von einer Atmosphäre umgeben, von der wir noch gar nicht wissen, was
sich alles in ihr regt und wie es mit unserm Geiste in Verbindung steht. ...
Wie gesagt, wir tappen alle in Geheimnissen und Wundern. Auch kann eine Seele
auf die andere durch blosse stille Gegenwart entschieden einwirken ....
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