Mittwoch, 27. Juni 2012


Der Philister negiert nicht nur die anderen Zustände, als der seinige ist, er will auch, dass alle übrigen Menschen auf seine Weise existieren sollen. ....
Es ist der blindeste Egoismus, der von sich selbst nichts weiss, und nicht weiss, dass der der andern ebensoviel Recht hätte, den seinigen auszuschliessen, als der seinige hat, den andern. 

Häufig ist er bei Anna Amalia, die er im Tagebuch mit dem Mondsymbol umschreibt (zunehmender Mond oder abnehmender Mond), am gleichen oder nächsten Tag dann auch bei Frau von Stein, seiner Sonne (Sonne). Die Balance zwischen den beiden Frauen wird mit geradezu zwanghafter Akribie gewahrt.

Zunehmender Mond: eine Sichel, offen gegen links. Sonne: ein Kreis mit einem Punkt.

Samstag, 16. Juni 2012

Wie wollt ich du könntest nur acht Tage mein Herz an deinem, meinen Blick in deinem fühlen. Bey Gott was hier vorgeht ist unaussprechlich fein und schnell und nur dir vernehmbar.
Ich sagte immer in meiner Jugend zu mir da so viel tausend Empfindungen das schwankende Ding bestürmen: Was das Schicksal mit mir will, dass es mich durch all die Schulen gehen lässt, es hat gewiß vor mich dahin zu stellen wo mich die gewöhnlichen Qualen der Menschheit gar nicht mehr anfechten müssen. Und iezt noch ich seh alles an Vorbereitung an!  

Samstag, 9. Juni 2012

Er hat viel geredet und immer als ob’s halb im Scherz wäre, aber im bittern Scherz herrliche Sachen gesagt über Kunst, Epigramme, Elegisches, Improvisiren, Liebe als Mittel zum Zweck, über Hoffnung, die in ihm erstorben ist ... ich ergrimmte über sein Wegwerfen der Erinnerung, „die Gegenwart ist die einzige Göttin, die ich anbete,“ sagte er - über seinen Unglauben an intellektuelle Freundschaft. „Freundschaft werde durch Verhältnisse genährt“ ...

Freitag, 8. Juni 2012


GRAF. Erkläre dich näher.

RITTER. Du weißt besser als ich selbst, was ich zu sagen habe. In jedes gute Herz ist das edle Gefühl von der Natur gelegt, daß es für sich allein nicht glücklich sein kann, daß es sein Glück in dem Wohl der andern suchen muß. Dieses schöne Gefühl weißt du in den Schülern des ersten Grades zu erregen, zu stärken, zu beleben! – Und wie nötig ist es, uns zum Guten Mut zu machen! Unser Herz, das von Kindheit an nur in der Geselligkeit sein Glück findet, das sich so gern hingibt und nur dann am höchsten und reinsten genießt, wenn es sich für einen geliebten Gegenstand aufopfern kann – ach! dieses Herz wird leider durch den Sturm der Welt aus seinen liebsten Träumen gerissen! Was wir geben können, will niemand nehmen; wo wir zu wirken streben, will niemand helfen; wir suchen und versuchen und finden uns bald in der Einsamkeit.

GRAF nach einer Pause. Weiter, mein Sohn.
RITTER. Und was noch schlimmer ist, mutlos und klein. Wer beschreibt die Schmerzen eines verkannten, von allen Seiten zurückgestoßenen menschenfreundlichen Herzens? Wer drückt die langen, langsamen Qualen eines Gemüts aus, das, zu wohltätiger Teilnehmung geboren, ungern seine Wünsche und Hoffnungen aufgibt und sich doch zuletzt derselben auf ewig entäußern muß? Glücklich, wenn es ihm noch möglich wird, eine Gattin, einen Freund zu finden, denen er das einzeln schenken kann, was dem ganzen Menschengeschlechte zugedacht war; wenn er Kindern, wenn er – Tieren nützlich und wohltätig sein kann!