Freitag, 25. Mai 2012

Goethe zeigte mir einen eleganten grünen Lehnstuhl, den er dieser Tage in einer Auktion sich hatte kaufen lassen.
»Ich werde ihn jedoch wenig oder gar nicht gebrauchen,« sagte er, »denn alle Arten von Bequemlichkeit sind eigentlich ganz gegen meine Natur. Sie sehen in meinem Zimmer kein Sofa; ich sitze immer in meinem alten hölzernen Stuhl und habe erst seit einigen Wochen eine Art von Lehne für den Kopf anfügen lassen. Eine Umgebung von bequemen geschmackvollen Meublen hebt mein Denken auf und versetzt mich in einen behaglichen passiven Zustand. Ausgenommen, daß man von Jugend auf daran gewöhnt sei, sind prächtige Zimmer und elegantes Hausgeräte etwas für Leute, die keine Gedanken haben und haben mögen.«
 

„Ich habe ein gutes Wort gefunden,“ fuhr Goethe fort, um diese Herren zu ärgern. Ich will ihre Poesie die Lazarett-Poesie nennen; dagegen die echt Tyrtäische diejenige, die nicht bloß Schlachtlieder singt, sondern auch den Menschen mit Mut ausrüstet, die Kämpfe des Lebens zu bestehen.“
Man spricht immer viel von Aristokratie und Demokratie, die Sache ist ganz einfach diese: In der Jugend, wo wir nichts besitzen oder doch den ruhigen Besitz nicht zu schätzen wissen, sind wir Demokraten. Sind wir aber in einem langen Leben zu Eigentum gekommen, so wünschen wir dieses nicht allein gesichert, sondern wir wünschen auch, daß unsere Kinder und Enkel das Erworbene ruhig genießen mögen. Deshalb sind wir im Alter immer Aristokraten ohne Ausnahme, wenn wir auch in der Jugend uns zu anderen Gesinnungen hinneigten. Leo spricht über diesen Punkt mit großem Geiste.

Sonntag, 20. Mai 2012

Noch immer auf der Woge mit meinem kleinen Kahn, und wenn die Sterne sich verstecken, schweb' ich so in der Hand des Schicksals hin, und Muth und Hoffnung und Furcht und Ruh wechseln in meiner Brust.
Erlaubt uns in unsern vermischten Schriften doch neben den abend- und nordländischen Formen auch die morgen- und südländischen.

Dienstag, 15. Mai 2012

»Doch wir wollen uns nicht melancholischen Betrachtungen hingeben,« fuhr Goethe nach einer Pause fort.

Sonntag, 6. Mai 2012


An den Geist des Johannes Sekundus.

Lieber, heiliger, groser Küsser,
Der du mir's in lechzend athmender
Glückseeligteit fast vorgethan hast!
Wem soll ich's klagen? klagt ich dir's nicht!
Dir, dessen Lieder wie ein warmes Küssen
Heilender Kräuter mir unters Herz sich legten,
Dass es wieder aus dem krampfigen Starren
Erdetreibens klopfend sich erhohlte.
Ach wie klag ich dir's, dass meine Lippe blutet,
Mir gespalten ist, und erbärmlich schmerzet,
Meine Lippe, die soviel gewohnt ist
Von der Liebe süsstem Glück zu schwellen
Und, wie eine goldne Himmelspforte,
Lallende Seeligkeit aus und einzustammeln.
Gesprungen ist sie! Nicht vom Biss der Holden,
Die, in voller ringsumfangender Liebe,
Mehr mögt haben von mir, und mögte mich Ganzen
Ganz erküssen, und fressen, und was sie könnte!
Nicht gesprungen weil nach ihrem Hauche
Meine Lippen unheilige Lüfte entweihten.
Ach gesprungen weil mich, öden, kalten,
Über beizenden Reif, der Herbstwind anpackt.
Und da ist Traubensaft, und der Saft der Bienen,
An meines Heerdes treuem Feuer vereinigt,
Der soll mir helfen! Warrlich er hilft nicht
Denn von der Liebe alles heilendem
Gift Balsam ist kein Tröpfgen drunter

d. 2. Nov. 76.             G.