Samstag, 26. November 2011

Was bin ich denn selbst, was habe ich geleistet? Alles, was ich gesehen habe, gehört und beobachtet, habe ich gesammelt und ausgenutzt. Meine Werke sind von unzähligen verschiedenen Individuen genährt worden, von Ignoranten und Weisen, Leuten von Geist und Dummköpfen; die Kindheit, das reife Alter, das Greisenalter, alle haben mir ihre Gedanken entgegengebracht, ihre Fähigkeiten, Hoffnungen und Lebensansichten, ich habe oft geerntet, was andere gesäet haben. Mein Werk ist das eines Kollektivwesens, das den Namen Goethe trägt.
„Gibt es denn im allgemeinen“, sagte ich, „kein Mittel, um eine produktive Stimmung hervorzubringen, oder, wenn sie nicht mächtig genug wäre, sie zu steigern?“
„Um diesen Punkt“, erwiderte Goethe, „steht es gar wunderlich, und wäre darüber allerlei zu denken und zu sagen.“
„Jede Produktivität höchster Art, jedes bedeutende Aperçu, jede Erfindung, jeder große Gedanke, der Früchte bringt, und Folge hat, steht in niemandes Gewalt und ist über aller irdischen Macht erhaben. Dergleichen hat der Mensch als unverhoffte Geschenke von oben, als reine Kinder Gottes zu betrachten, die er mit freudigem Dank zu empfangen und zu verehren hat. Es ist dem Dämonischen verwandt, das übermächtig mit ihm tut, wie es beliebt, und dem er sich bewußtlos hingibt, während er glaubt, er handle aus eigenem Antriebe. In solchen Fällen ist der Mensch oftmals als ein Werkzeug einer höheren Weltregierung zu betrachten, als ein würdig befundenes Gefäß zur Aufnahme eines göttlichen Einflusses. – Ich sage dies, indem ich erwäge, wie oft ein einziger Gedanke ganzen Jahrhunderten eine andere Gestalt gab, und wie einzelne Menschen durch das, was von ihnen ausging, ihrem Zeitalter ein Gepräge aufdrückten, das noch in nachfolgenden Geschlechtern kenntlich blieb und wohltätig fortwirkte.“

Freitag, 18. November 2011

Wir haben's von jeher mit den Scheisskerlen verdorben und die Scheisskerle sitzen überall auf dem Fass.
Hier gedenken wir nur Günthers, der ein Poet im vollen Sinn des Worts genannt werden darf. Ein entschiedenes Talent, begabt mit Sinnlichkeit, Einbildungskraft, Gedächtnis, Gabe des Fassens und Vergegenwärtigens, fruchtbar im höchsten Grad, rhythmisch bequem, geistreich, witzig und dabei vielfach unterrichtet; genug, er besaß alles, was dazu gehört, im Leben ein zweites Leben durch Poesie hervorzubringen, und zwar in dem gemeinen wirklichen Leben. Wir bewundern seine große Leichtigkeit, in Gelegenheitsgedichten alle Zustände durchs Gefühl zu erhöhen und mit passenden Gesinnungen, Bildern, historischen und fabelhaften Überlieferungen zu schmücken. Das Rohe und Wilde daran gehört seiner Zeit, seiner Lebensweise und besonders seinem Charakter oder, wenn man will, seiner Charakterlosigkeit. Er wusste sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten.
Durch ein unfertiges Betragen hatte sich Günther das Glück verscherzt, an dem Hof Augusts des Zweiten angestellt zu werden, wo man, zu allem übrigen Prunk, sich auch nach einem Hofpoeten umsah, der den Festlichkeiten Schwung und Zierde geben und eine vorübergehende Pracht verewigen könnte. Von König war gesitteter und glücklicher, er bekleidete diese Stelle mit Würde und Beifall.
Ich habe in diesen acht Tagen viel Merkwürdiges, wenn es auch nur meist negativ merkwürdig gewesen wäre, gesehen. An dem Grafen Reden, dem Director der Schlesischen Bergwerke, haben wir einen sehr guten Gesellschafter gehabt. Nun sind wir wieder hier in dem lärmenden, schmutzigen, stinkenden Breslau, aus dem ich bald erlöst zu sein wünsche.

Donnerstag, 17. November 2011

Die zwei mittlern Finger sollen immer zusammenbleiben, der Daumen, Zeige- und kleine Finger etwas gebogen hängen. Auf diese Art ist die Hand in ihrer gehörigen Haltung und zu allen Bewegungen in ihrer richtigen Form.

Dienstag, 15. November 2011

Was machst du an der Welt? Sie ist schon gemacht;
Der Herr der Schöpfung hat alles bedacht.
Dein Los ist gefallen; verfolge die Weise!
Der Weg ist begonnen, vollende die Reise!
Denn Sorgen und Kummer verändern es nicht;
Sie schleudern dich ewig aus gleichem Gewicht.
Die Natur. - Sie spielt ein Schauspiel; ob sie es selbst sieht, wissen wir nicht, und doch spielt sie’s für uns, die wir in der Ecke stehen.

Mittwoch, 9. November 2011

Wie selig kann man seine Freunde preisen die wenigstens das Unheil nicht mit Augen sehen das in dieser Gegend und nun auch in dem unglücklichen Maynz angerichtet wird. Ihre gütigen Briefe zeigen mir Sie auf dem gewöhnlichen ruhigen, obgleich mitunter beschwerlichen Pfade der bürgerlichen Geschäfte und des häußlichen Lebens, möge ein gutes Geschick Sie lange drauf erhalten.
Mich wandelt in meiner jetzigen Lage eine Art Stupor an und ich finde den trivialen Ausdruck: der Verstand steht mir still, trefflich um die Lage meines Geistes auszudrucken.
Die Hälfte der schönen und wohlgelegnen Stadt mag nun wohl schon verbrannt seyn der Erfolg muß diesen grimmigen Entschluß rechtfertigen. Die Situation der emigrirten Maynzer ist die traurigste von der Welt.

Dein Packet hab' ich noch nicht übergeben, ich weiß nicht, warum. Ein Dämon hält mich ab. Die Zerstreuung, Verwirrung, Inhumanität um uns ist zu groß. Vale et ama. 

Donnerstag, 3. November 2011

Seine nähere Bekanntschaft erhält man sehr schwer; die Menschen, welche ich gesprochen, wissen alle keinen, mit dem er sehr genau umgehet.