Dienstag, 30. Januar 2007


"Es liegen in der menschlichen Natur wunderbare Kräfte", erwiderte Goethe, "und eben wenn wir es am wenigsten hoffen, hat sie etwas Gutes für uns in Bereitschaft. Ich habe in meinem Leben Zeiten gehabt, wo ich mit Tränen einschlief; aber in meinen Träumen kamen nun die lieblichsten Gestalten, mich zu trösten und zu beglücken, und ich stand am andern Morgen wieder frisch und froh auf den Füssen.

Es geht uns alten Europäern übrigens mehr oder weniger allen herzlich schlecht; unsere Zustände sind viel zu künstlich und zu kompliziert, unsere Nahrung und Lebensweise ist ohne die rechte Natur, und unser geselliger Verkehr ohne eigentliche Liebe und Wohlwollen. Jedermann ist fein und höflich, aber niemand hat den Mut, gemütlich und wahr zu sein, so dass ein redlicher Mensch mit natürlicher Neigung und Gesinnung einen recht bösen Stand hat. Man sollte oft wünschen, auf einer der Südseeinseln als sogenannter Wilder geboren zu sein, um nur einmal das menschliche Dasein ohne falschen Beigeschmack, durchaus rein zu geniessen.

Denkt man sich in deprimierter Stimmung recht tief in das Elend unserer Zeit hinein, so kommt es einem oft vor, als wäre die Welt nach und nach zum Jüngsten Tage reif. Und das Uebel häuft sich von Generation zu Generation! Denn nicht genug, dass wir an den Sünden unserer Väter zu leiden haben, sondern wir überliefern auch diese geerbten Gebrechen, mit unsern eigenen vermehrt, unsern Nachkommen."

Montag, 1. Januar 2007

Als ich von der bewunderungswürdigen Menge seiner täglichen Lektüre sprach, versicherte er, im Durchschnitt wenigstens einen Oktavband täglich zu lesen. So habe er kürzlich einen ganzen Band absurder Krummacherscher Predigten durchgelesen, ja einen Aufsatz darüber zusammenzubringen versucht, den er dem p. Röhr mitteilen wolle. Mir freilich werde seine Geduld dabei verwunderlich erscheinen, weil ich diese Predigten nur in Beziehung auf mich beurteile; aber ihm sei daran gelegen, so ein tolles Individuum zu lernen und zu ergründen, wie es sich zu unserer Zeit und unserer Bildung verhalte und sich darin habe gestalten können.