Freitag, 30. Oktober 2020

Dieses führt mich auf Maler Hensel, der mir die Jetons überbrachte. Auch er, wie so manche andere, hat ein eingebornes Talent, was aber daraus werden kann, das weiß – nicht Gott, der sich um dergleichen schwerlich bekümmert – aber ich weiß es, der ich diesem Irrfall seit mehr als zwanzig Jahren zusehe. Auch er stickt in dem seichten Dilettantismus der Zeit, der in Alterthümley und Vaterländeley einen falschen Grund, in Frömmeley ein schwächendes Element sucht, eine Atmosphäre, worin sich vornehme Weiber, halbkennende Gönner und unvermögende Versuchler so gerne begegnen; wo eine hohle Phrasensprache, die man sich gebildet, so süßlich klingt, ein Maximengewand, das man sich auf den kümmerlichen Leib zugeschnitten hat, so nobel kleidet, wo man täglich von der Auszehrung genagt an Unsicherheit kränkelt, und um nur zu leben und fortzuwebeln, sich auf's schmächlichste selbst belügen muß.


Uns somit mag denn noch manches weiße Papier zu dir gelangen, manches bleibt für die nächste Mittheilung. Uns und euch dessen Anblick wir uns eine Weile ergötzen wollen.

Alles Gute, Schöne, Würdige!  

Dienstag, 27. Oktober 2020

Als ich ihm ein scharfes Witzwort eines unsrer Freunde mittheilte, wurde er ganz aufgebracht und zornig. »Durch solche böswillige und indiscrete Dichteleien macht man sich nur Feinde und verbittert Laune und Existenz sich selbst. Ich wollte mich doch lieber aufhängen, als ewig negiren, ewig in der Opposition sein, ewig schlußfertig auf die Mängel und Gebrechen meiner Mitlebenden, Nächstlebenden lauern. Ihr seid noch gewaltig jung und leichtsinnig, wenn ihr so etwas billigen könnt. Das ist ein alter Sauerteig, der den Character inficirt hat und aus der Revolutionszeit stammt.« In solcher Heftigkeit ward Goethe immer beredter, immer geistreicher, immer aufrichtiger und dabei wohlmeinender in der Richtung seiner Aussprüche, so daß es mir ganz lieb war, durch jene Mittheilung seine Explosion provocirt zu haben. 

Abends war ich einige Stunden bei Goethe, der noch unpaß, doch schon besser war. Später kam Coudray hinzu, dann Huschke. Goethe sprach über den Gebrauch des Thees. »Er wirkt stets wie Gift auf mich,« sagte er, »und doch was sollten die Frauen ohne ihn anfangen? Das Thee machen ist eine Art Function, eine eingebildete Thätigkeit, besonders in England. Und da sitzen sie gar behaglich umher, und sind weiß, und sind schön, und sind lang, und da müssen wir sie schon sitzen lassen.«

Ich frug, ob er Seidel's literarisches Geschenk »Charinomos« gelesen habe? »Keineswegs, nichts ist mir hohler und fataler wie ästhetische Theorien. Ich bin zu alt, um noch neue Theorien in meinen Kopf zu bringen. Ein Lied, eine Erzählung irgend etwas Producirtes - das lese ich wohl und gerne, wenn es gut ist; das beseelt um mich herum. Auch Urtheile sind etwas Geschaffenes, Thätiges und vor allen lobe ich mir meine Globisten, aber was ein Anderer denkt, wie kann mich das kümmern? Ich kann doch nicht wie er denken, weil ich Ich und nicht Er bin. Wie können sich nur die Leute einbilden, daß mich ihr Denken interessiren könnte, z.B. Cousin?«

…. Im Ganzen war er heut sehr mild und freundlich.

Dienstag, 20. Oktober 2020

Goethe machte mir Schwierigkeiten wegen des beabsichtigten Abdrucks seines Dankbriefes nach Jena »Ich weiß, was ich kann und nicht kann und will nur das, was ich kann.«


Es ist sonderbar, daß eben, da ich Ihren Brief erhalte, ich still-traurig über denselben Gegenstand nachdachte, davon Sie mir schreiben. Aber leider ist da auf der einen Seite, wo unser Freund die Hoffnung aufgegeben, nichts zu ändern, weil nichts zu hoffen ist und moralisch unrichtiger Takt und Töne in unserm System herrschen. Aber als ein weiser Mann wird er sich’s wohl mit der Zeit zurechtlegen.

Überdies geht unser Freund seinen ihm gehörigen Weg. Sie andere Philosophen wissen ja, daß gewisse notwendige Gesetze in der moralischen Natur so gut als in der physischen mit denen Dingen verknüpft sind. So kann ein Verständiger, Edler, Großmütiger, Wohltätiger, Uneigennütziger keinen vergnüglichen Teil mit dieser Welt haben; oder wenn er ihn genießen will, so muß er seinen Himmel verlassen. Diese Menschen bleiben nun einmal die, welche man wie den einigen Gott im Geist und in der Wahrheit verehrt. Keine irdischen Altäre werden ihnen nicht gebaut.

Nur ist es notwendig, daß, wenn einmal diese himmlischen Seelen durch Ämter mit den Menschenkindern gebunden sind, sie sich dieses recht deutlich machen und immer in ihrem Herzen wiederholen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Auf diesem Weg müssen wir unserm Freund beistehen.   

Er ist also jetzt Wirklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter, Direktor des Bergwerks, dabei auch Directeur des plaisirs, Hofpoet, Verfasser von schönen Festivitäten, Hofopern, Balletts, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken usw., Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die Osteologie gehalten; selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz, das Faktotum des Weimarschen und, so Gott will, bald der Major domus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht. 

Bei alledem geht’s in Geschäften, wie es gehen will und mag. Meine Gegenwart ist hier beinah unnütz und wird mir von Tag zu Tag lästiger. Was anderswohin weiß, sehnt sich weg.   (Herder an Hamann)


Um mich herum fühle ich eine sonderbare Wüste, da ich doch in dem Eigentlichen, worüber ich reden möchte, niemand hier habe, mit dem ich sprechen kann, als meine Frau. Die hiesigen schönen Geister sind so sehr weit von mir und leben in ihrer Welt, in denen es ihnen sehr wohl ist ...

Kunst, Kunst ist jetzt die Losung, der alles zu Füßen liegt: süßer mystischer Opiumtraum unverstandner Ideen und Gefühle!

11. Mai: «Hier ist Nichts, Nichts, Nichts als armes Treiben und Martern des Geistes: despotische Anarchie und anarchischer Despotismus.»        (Herder an Hamann)

Montag, 5. Oktober 2020

Äußerst fratzenhaft erscheint der arme Kosegarten, der, nachdem er nun zeitlebens gesungen und gezwitschert hat, wie ihm von der lieben Natur die Kehle gebildet und der Schnabel gewachsen war, seine Individualität durch die Folterschrauben der neuen philosophischen Forderungen selbst auszurecken bemüht ist, und seine Bettlerjacke auf der Erde nachschleift, um zu versichern, daß er doch auch ohngefähr so einen Königsmantel in der Garderobe führe. Ich werde das Exhibitum sogleich an Meyern absenden. Indessen sind diese Menschen, die sich noch denken können, daß das Nichts unserer Kunst alles sei, noch besser dran als wir andern, die wir doch mehr oder weniger überzeugt sind, daß das Alles unserer Kunst nichts ist.

Freitag, 2. Oktober 2020

Er war sehr gut gegen mich, nennte mich im Vertrauen seines Herzens Du, das verwies ich ihm mit den sanftesten Ton von der Welt, sich’s nicht anzugewöhnen, weil es nun eben niemand wie ich zu verstehn weiß und er ohnedies oft gewisse Verhältnisse aus den Augen setz. Da springt er wild auf vom Kanapee, sagt: „Ich muß fort!“, läuft ein paarmal auf und ab, um seinen Stock zu suchen, findt ihn nicht, rennt so zur Türe hinaus ohne Abschied, ohne Gutenacht. Sehen Sie, lieber Zimmermann, so war’s heute mit unsern Freund. Schon einigemal habe ich bittern Verdruß um ihn gehabt; das weiß er nicht und soll’s nie wissen.  ...  

Goethe hatte sich mir gegenüber gesetzt, und wir sprachen noch über allerlei Dinge. Dann verweilten wir wieder bei Lord Byron, und es kamen die mancherlei Unfälle zur Erwähnung, die sein späteres Leben getrübt, bis zuletzt ein zwar edles Wollen, aber ein unseliges Geschick ihn nach Griechenland geführt und vollends zugrunde gerichtet. „Überhaupt“, fuhr Goethe fort, „werden Sie finden, daß im mittleren Leben eines Menschen häufig eine Wendung eintritt, und daß, wie ihn in seiner Jugend alles begünstigte und alles ihm glückte, nun mit einemmal alles ganz anders wird, und ein Unfall und ein Mißgeschick sich auf das andere häuft.“