Dienstag, 28. April 2020

Ich will Ihnen etwas sagen, woran Sie sich im Leben halten mögen. Es gibt in der Natur ein Zugängliches und ein Unzugängliches. Dieses unterscheide und bedenke man wohl und habe Respekt. Es ist uns schon geholfen, wenn wir es überhaupt nur wissen, wiewohl es immer sehr schwer bleibt, zu sehen, wo das eine aufhört und das andere beginnt. Wer es nicht weiß, quält sich vielleicht lebenslänglich am Unzugänglichen ab, ohne je der Wahrheit nahe zu kommen. Wer es aber weiß und klug ist, wird sich am Zulänglichen halten, und indem er in dieser Region nach allen Seiten geht und sich befestiget, wird er sogar auf diesem Wege dem Unzugänglichen etwas abgewinnen können, wiewohl er hier doch zuletzt gestehen wird, daß manchen Dingen nur bis zu einem gewissen Grade beizukommen ist, und die Natur immer etwas Problematisches hinter sich behalte, welches zu ergründen, die menschlichen Fähigkeiten nicht hinreichen.

Samstag, 25. April 2020

Und eben diese durchdringenden Augen des umsichtigen Mannes scheinen uns ein Entsetzen zu verraten; er blickt auf eine fürchterliche Erscheinung, die unmittelbar, unerwartet aus den Wellen bricht. Die Helden, sämtlich erstaunt, feiern von der Arbeit. Herkules allein fährt fort, das Meer zu schlagen; was den übrigen als Wunder erscheint, sind ihm bekannte Dinge. Rastlos gewohnt zu arbeiten, strebt er kräftig vor wie nach, unbekümmert um alles nebenbei.   

Alle nun schauen auf Glaukus, der sich dem Meer enthebt. Dieser, sonst ein Fischer, genoß vorwitzig Tang und Meerpflanze; die Wellen schlugen über ihm zusammen und führten ihn hinab als Fisch zu den Fischen. Aber der übriggebliebene menschliche Teil ward begünstigt: zukünftige Dinge kennt er, und nun steigt er herauf, den Argonauten ihre Schicksale zu verkünden. Wir betrachten seine Gestalt: aus seinen Locken, aus seinem Bart trieft, gießt das Meerwasser über Brust und Schultern herab, anzudeuten die Schnelligkeit, womit er sich hervorhob.

Mittwoch, 22. April 2020

Vor mehreren Wochen sagte er mir einmal, er für seine Person hätte viel Glück, ja es strömte ihm von allen Seiten zu, aber nur für andre habe er kein Glück.

Sonntag, 12. April 2020

«In Erwartung der Suppe will ich Ihnen indeß eine Erquickung der Augen geben.» Mit diesen freundlichen Worten legte Goethe mir einen Band vor mit Landschaften von Claude Lorrain.
»Da sehen Sie einmal einen vollkommenen Menschen,« sagte Goethe, »der schön gedacht und empfunden hat und in dessen Gemüth eine Welt lag, wie man sie nicht leicht irgendwo draußen antrifft. Die Bilder haben die höchste Wahrheit, aber keine Spur von Wirklichkeit. Claude Lorrain kannte die reale Welt bis ins kleinste Detail auswendig, und er gebrauchte sie als Mittel, um die Welt seiner schönen Seele auszudrücken. Und das ist eben die wahre Idealität, die sich realer Mittel so zu bedienen weiß, daß das erscheinende Wahre eine Täuschung hervorbringt, als sei es wirklich.«
»Ich dächte,« sagte ich, »das wäre ein gutes Wort und zwar ebenso gültig in der Poesie wie in den bildenden Künsten.«
»Ich sollte meinen,« sagte Goethe.
»Indessen,« fuhr er fort, »wäre es wohl besser, Sie sparten sich den fernern Genuß des trefflichen Claude zum Nachtisch, denn die Bilder sind wirklich zu gut, um viele davon hintereinander zu sehen.«
»Ich fühle so,« sagte ich, »denn mich wandelt jedesmal eine gewisse Furcht an, wenn ich das folgende Blatt umwenden will. Es ist eine Furcht eigener Art, die ich vor diesem Schönen empfinde, so wie es uns wohl mit einem trefflichen Buche geht, wo gehäufte kostbare Stellen uns nöthigen innezuhalten, und wir nur mit einem gewissen Zaudern weiter gehen.«