Mittwoch, 26. Februar 2014
„Beides sind auch sehr naheliegende Dinge,“
erwiderte Goethe. „Denn was ist Genie anders als jene produktive Kraft, wodurch
Taten entstehen, die vor Gott und der Natur sich zeigen können und die eben
deswegen Folge haben und von Dauer sind. Alle Werke Mozarts sind dieser Art; es
liegt in ihnen eine zeugende Kraft, die von Geschlecht zu Geschlecht fortwirkt
und sobald nicht erschöpft und verzehrt sein dürfte. Von anderen großen
Komponisten und Künstlern gilt dasselbe. Wie haben nicht Phidias und Raphael
auf nachfolgende Jahrhunderte gewirkt, und wie nicht Dürer und Holbein! –
Derjenige, der zuerst die Formen und Verhältnisse der altdeutschen Baukunst
erfand, so daß im Laufe der Zeit ein Straßburger Münster und ein Kölner Dom
möglich wurde, war auch ein Genie, denn seine Gedanken haben fortwährend
produktive Kraft behalten und wirken bis auf die heutige Stunde, –
Luther war ein Genie sehr bedeutender Art; er wirkt nun schon manchen guten Tag, und die Zahl der Tage, wo er in fernen Jahrhunderten aufhören wird, produktiv zu sein, ist nicht abzusehen. – Lessing wollte den hohen Titel eines Genies ablehnen; allein seine dauernden Wirkungen zeugen wider ihn selber. Dagegen haben wir in der Literatur andere, und zwar bedeutende Namen, die, als sie lebten, für große Genies gehalten wurden, deren Wirken aber mit ihrem Leben endete, und die also weniger waren als sie und andere dachten. Denn, wie gesagt, es gibt kein Genie, ohne produktiv fortwirkende Kraft; und ferner, es kommt dabei gar nicht auf das Geschäft, die Kunst und das Métier an, das einer treibt: es ist alles dasselbige. Ob einer sich in der Wissenschaft genial erweist, wie Oken und Humboldt, oder im Krieg und der Staatsverwaltung, wie Friedrich, Peter der Große und Napoleon, oder ob einer ein Lied macht wie Béranger, es ist alles gleich und kommt bloß darauf an, ob der Gedanke, das Aperçu, die Tat lebendig sei und fortzuleben vermöge."
„Und dann muß ich noch sagen: nicht die Masse der
Erzeugnisse und Taten, die von jemanden ausgehen, deuten auf einen produktiven
Menschen. Wir haben in der Literatur Poeten, die für sehr produktiv gehalten
werden, weil von ihnen ein Band Gedichte nach dem andern erschienen ist. Nach
meinem Begriff aber sind diese Leute durchaus unproduktiv zu nennen, denn was
sie machten, ist ohne Leben und Dauer. Goldsmith dagegen hat so wenige Gedichte
gemacht, daß ihre Zahl nicht der Rede wert; allein dennoch muß ich ihn als
Poeten für durchaus produktiv erklären, und zwar eben deswegen, weil das
wenige, was er machte, ein inwohnendes Leben hat, das sich zu erhalten weiß.“
Montag, 24. Februar 2014
Ich bin über des Soulavie mémoires historiques et politiques du règne de
Louis XVI gerathen, ein Werk das einen nicht los läßt und das durch seine
Vielseitigkeit einnimmt, wenn gleich der Verfasser mitunter verdächtig
erscheint. Im Ganzen ist es der ungeheure Anblick von Bächen und Strömen, die
sich, nach Naturnothwendigkeit, von vielen Höhen und aus vielen Thälern, gegen
einander stürzen und endlich das Übersteigen eines großen Flusses und eine
Überschwemmung veranlassen, in der zu Grunde geht wer sie vorgesehen hat, so
gut als der sie nicht ahnete. Man sieht in dieser ungeheuern Empirie nichts als
Natur und nichts von dem was wir Philosophen so gern Freiheit nennen möchten.
Wir wollen erwarten ob uns Bonapartes Persönlichkeit noch ferner mit dieser
herrlichen und herrschenden Erscheinung erfreuen wird.
Heute früh habe ich das Capitel im Wilhelm
geendigt wovon ich dir den Anfang dicktirte. Es machte mir eine gute Stunde.
Eigentlich bin ich zum Schriftsteller gebohren. Es gewährt mir eine reinere
Freude als iemals wenn ich etwas nach meinen Gedancken gut geschrieben habe.
Lebe wohl. Erhalte mir die Seele meines Lebens, Treibens und Schreibens. d. 10. Aug. 82.
Mittwoch, 12. Februar 2014
Unser physisches sowohl als geselliges Leben,
Sitten, Gewohnheiten, Weltklugheit, Philosophie, Religion, ja so manches
zufällige Ereignis, alles ruft uns zu: dass wir entsagen sollen. So manches,
was uns innerlich einst angehört, sollen wir nicht nach aussen hervorbilden;
was wir von aussen zu Ergänzung unseres Wesens bedürfen, wird uns entzogen,
dagegen aber so vieles aufgedrungen, das uns so fremd als lästig ist. Man
beraubt uns des mühsam Erworbenen, des freundlich Gestatteten, und ehe wir
hierüber recht ins klare sind, finden wir uns genötigt, unsere Persönlichkeit
erst stückweis und dann völlig aufzugeben. Dabei ist es aber hergebracht, dass
man denjenigen nicht achtet, der sich deshalb ungebärdig stellt; vielmehr soll
man, je bitterer der Kelch ist, eine desto süssere Miene machen, damit ja der
gelassene Zuschauer nicht durch irgendeine Grimasse beleidigt werden.
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