Mittwoch, 22. Juni 2011

Wir können einen jeden Gegenstand der Erfahrung als einen Stoff ansehen, dessen sich die Kunst bemächtigen kann, und da es bei derselben hauptsächlich auf die Behandlung ankommt, so können wir die Stoffe beinahe als gleichgültig ansehen; nun ist aber bei näherer Betrachtung nicht zu leugnen, dass die einen sich der Behandlung bequemer darbieten als die anderen und dass, wenn gewisse Gegenstände durch die Kunst leicht zu überwinden sind, andere dagegen unüberwindlich scheinen. Ob es für das Genie einen wirklich unüberwindlichen Stoff gebe, kann man nicht entscheiden; aber die Erfahrung lehrt uns, dass in solchen Fällen die grössten Meister wohl angenehme und liebenswürdige Bilder gemacht, die aber keineswegs in dem Sinne vollkommen sind, als die, bei welchen der Stoff sie begünstigte. Denn es muss die Kunst sich ja fast schin erschöpfen, um einem ungünstigen Gegenstande dasjenige zu geben, was ein günstiger schon mit sich bringt. Bei den echten Meistern wird man immer bemerken, dass sie da, wo sie völlig freie Hand hatten, jederzeit günstige Gegenstände wählten und sie mit glücklichen Geiste ausführten. Gaben ihnen Religions- oder andere Verhältnisse andere Aufgaben, so suchten sie sich zwar so gut als möglich herauszuziehen, es wird aber immer einem solchen Stück etwas an der höchsten Vollkommenheit, das heisst an innerer Selbständigkeit und Bestimmtheit fehlen.
Wunderbar ist es, dass die neuern, und besonders die neuesten Künstler sich immer die unüberwindlichsten Stoffe aussuchen und auch nicht einmal die Schwierigkeiten ahnen, mit denen zu kämpfen wäre; und ich glaube daher, es wäre schon viel für die Kunst getan, wenn man den Begriff der Gegenstände, die sich selbst darbieten, und anderer, die der Darstellung widerstreben, recht anschaulich und allgemein machen könnte.
Ich leugne nicht, daß der Tod der Becker mir sehr schmerzlich gewesen. Sie war mir in mehr als einem Sinne lieb. Wenn sich manchmal in mir die abgestorbene Lust, fürs Theater zu arbeiten, wieder regte, so hatte ich sie gewiss vor Augen, und meine Mädchen und Frauen bildeten sich nach ihr und ihren Eigenschaften. Es kann größere Talente geben, aber kein für mich anmutigeres. Die Nachricht von ihrem Tode hatte ich lange erwartet; sie überraschte mich in den formlosen Gebirgen. Liebende haben Tränen und Dichter Rhythmen zur Ehre der Toten; ich wünschte, daß mir etwas zu ihrem Andenken gelungen sein möchte.

Donnerstag, 16. Juni 2011

Wir freuten uns über dieses Wort.
„Das wollte ich meinen,“ sagte Goethe. „Schiller mochte sich stellen, wie er wollte, er konnte gar nichts machen, was nicht immer bei weitem größer herauskam als das Beste dieser Neueren; ja, wenn Schiller sich die Nägel beschnitt, war er größer als diese Herren.“
„Aber ich habe doch Personen gekannt,“ fuhr Goethe fort, „die sich über die ersten Stücke Schillers gar nicht zufrieden geben konnten. Eines Sommers in einem Bade ging ich durch einen eingeschlossenen, sehr schmalen Weg, der zu einer Mühle führt. Es begegnete mir der Fürst Putjatin, und da in demselben Augenblick einige mit Mehlsäcken beladene Maultiere auf uns zukamen, so mußten wir ausweichen und in ein kleines Haus treten. Hier, in einem engen Stübchen, gerieten wir nach Art dieses Fürsten sogleich in tiefe Gespräche über göttliche und menschliche Dinge; wir kamen auch auf Schillers Räuber, und der Fürst äußerte sich folgendermaßen: ‚Wäre ich Gott gewesen,’ sagte er, ‚im Begriff, die Welt zu erschaffen, und ich hätte in dem Augenblick vorausgesehen, daß Schillers Räuber darin würden geschrieben werden, ich hätte die Welt nicht erschaffen.’“ Wir mußten lachen. „Was sagen Sie dazu,“ sagte Goethe; „das war doch eine Abneigung, die ein wenig weit ging, und die man sich kaum erklären konnte.“