Es sind über sechzig Jahre, daß die Konzeption des Faust bei mir jugendlich von vorneherein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorlag. Nun hab ich die Absicht immer sachte neben mir hergehen lassen, und nur die mir gerade interessantesten Stellen einzeln durchgearbeitet, so daß im zweiten Teil Lücken blieben, durch ein gleichmäßiges Interesse mit dem übrigen zu verbinden. Hier trat nun freilich die große Schwierigkeit ein, dasjenige durch Vorsatz und Charakter zu erreichen, was eigentlich der freiwillig tätigen Natur allein zukommen sollte. Es wäre aber nicht gut, wenn es nicht auch nach einem so langen, tätig nachdenkenden Leben möglich geworden wäre, und ich lasse mich keine Furcht angehen, man werde das Ältere vom Neueren, das Spätere vom Früheren unterscheiden können, welches wir denn den künftigen Lesern zur geneigten Einsicht übergeben wollen.
Ganz ohne Frage würd es mir unendliche Freude machen, meinen werten, durchaus dankbar anerkannten, weit verteilten Freunden auch bei Lebzeiten diese sehr ernsten Scherze zu widmen, mitzuteilen und ihre Erwiderung zu vernehmen. Der Tag aber ist wirklich so absurd und konfus, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange verfolgten Bemühungen um dieses seltsame Gebäu würden schlecht belohnt und an den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern daliegen und von dem Dünenschutt der Stunden zunächst überschüttet werden. Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über die Welt, und ich habe nichts angelegentlicher zu tun als dasjenige was an mir ist und geblieben ist wo möglich zu steigern und meine Eigentümlichkeiten zu kohobieren, wie Sie es, würdiger Freund, auf Ihrer Burg ja auch bewerkstelligen. Teilen Sie mir deshalb auch etwas von Ihren Arbeiten mit; Riemer ist, wie Sie wohl wissen, an die gleichen und ähnlichen Studien geheftet und unsere Abendgespräche führen oft auf die Grenzen dieses Faches. Verzeihung diesem verspäteten Blatte! Ohngeachtet meiner Abgeschlossenheit findet sich selten eine Stunde, wo man sich diese Geheimnisse des Lebens vergegenwärtigen mag.
Mittwoch, 14. Januar 2009
Dies Werk ist so vortrefflich, dass Goethe, als er es den Schauspielern vorlas, selbst bitterlich weinte; das ist das Schönste, was ich von ihm gehört habe, überhaupt erscheint er mir, seit ich vieles und näheres von ihm höre, als der einfachste edelste reinste Mensch, und von Stolz und Kälte sprechen nur die Schafsköpfe.
Auf Herders dritten Teil freu’ ich mich sehr. Hebt mir ihn auf, bis ich sagen kann, wo er mir begegnen soll. Er wird gewiss den schönen Traumwunsch der Menschheit, dass es dereinst besser mit ihr werden sollte, trefflich ausgeführt haben. Auch muss ich selbst sagen, halt’ ich es für wahr, dass die Humanität endlich siegen wird, nur fürcht’ ich, dass zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und einer des andern humaner Krankenwärter sein werde.
Montag, 12. Januar 2009
Donnerstag, 8. Januar 2009
Mittwoch, 7. Januar 2009
Freilich konnte ich auf diese Weise nur didaktisch und dogmatisch verfahren, eine eigentlich dialektische und konversierende Gabe war mir nicht verliehen. Oft aber trat auch eine böse Gewohnheit hervor, deren ich mich anklagen muß: da mir das Gespräch, wie es gewöhnlich geführt wird, höchst langweilig war, indem nichts als beschränkte, individuelle Vorstellungsarten zur Sprache kamen, so pflegte ich den unter Menschen gewöhnlich entspringenden bornierten Streit durch gewaltsame Paradoxe aufzuregen und ans Äußerste zu führen. Dadurch war die Gesellschaft meist verletzt und in mehr als einem Sinne verdrießlich. Denn oft, um meinen Zweck zu erreichen, mußt' ich das böse Prinzip spielen, und da die Menschen gut sein und auch mich gut haben wollten, so ließen sie es nicht durchgehen; als Ernst konnte man es nicht gelten lassen, weil es nicht gründlich, als Scherz nicht, weil es zu herb war; zuletzt nannten sie mich einen umgekehrten Heuchler und versöhnten sich bald wieder mit mir. Doch kann ich nicht leugnen, daß ich durch diese böse Manier mir manche Person entfremdet, andere zu Feinden gemacht habe.
Samstag, 3. Januar 2009
Nach einem Concert, das unsere Erwartungen nicht hinlänglich befriedigte, fuhren wir zu Goethens. Der alte Herr empfing uns ganz besonders zärtlich und entwickelte, als wir bald darauf mit ihm am traulichen Eßtisch saßen, seine ganze Liebenswürdigkeit in Scherz und Ernst auf's Allerreizendste. O, wie hinreißend, wie unwiderstehlich ist der Mann, wenn er in heitrer Gemüthlichkeit sich zwischen seinen Kindern und Freunden bewegt – bald das Größte und Höchste in's Gespräch verflechtend, bald sich scherzhaft wieder zu dem Kleinsten und Unbedeutendsten herabneigend und jedem einen neuen Werth, eine neue Bedeutung verleihend.
Dieser Gegenstand leitete uns dann weiter zurück in die entferntesten Zeiten der erwachenden Cultur zu der Erfindung der Schrift überhaupt, und ich warf Goethe die Frage auf, wie Homer seine Werke eigentlich geschrieben habe.»Diese Frage, mein liebes Engelchen!« sagte er, »kann nur durch weitläufige Erzählungen beantwortet, oder vielmehr verneint werden.«
Er begriff kaum, wie man sich je von ihm wieder entfernen konnte, wenn man einmal seine Nähe genossen hatte. Als Julie sich im Februar 1823 von Weimar verabschiedet, um in das Haus ihrer Mutter zurückzukehren, ist Goethes Betroffenheit am Umschlag in die für ihn so schutzwirksame Geschäftsmässigkeit ablesbar.
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