Sonntag, 23. November 2008

Sein episches Gedicht haben Sie gelesen; Sie werden gestehen, dass es der Gipfel seiner und unsrer ganzen neueren Kunst ist. Ich hab es entstehen sehen und mich fast ebenso sehr über die Art der Entstehung als über das Werk verwundert. Während wir andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas Leidliches langsam hervorzubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber einerntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind, wie ihn die Klarheit über sich selbst und über die Gegenstände vor jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrt.

Donnerstag, 13. November 2008

Denn Goethe verschliesst sein Innerstes, bleibt kalt bei einem kalten, scharfen Verstande zur Beobachtung, obgleich im Kern eine gewaltige Flamme lodert; aber er sieht die Dinge mehr, wie sie in der Wirklichkeit sind ...
O könnte er nur etwas Gemüt seinen Schöpfungen geben, und sähe man nicht überall eine Art von Buhlerei oder, wie er es selbst so gern nennt, das betuliche Wesen darinnen! Was hätte er seiner Nation werden können! Trauern muss man um diesen seltnen Genius! Nie weiss man, wie man in seinen Stücken daran ist, ob er das Rechte oder das Falsche meint, ob er diesem oder jenem das Wort redet. O Sophokles, welch einen sichern Massstab hast du!
Goethe ist von seiner Excursion nach Jena, wo er etwas zu arbeiten hoffte, längst zurück, hat aber nur etwas Weniges am Faust gearbeitet, welches aber vortrefflich ist. Im Ganzen bringt er jetzt zu wenig hervor, so reich er noch immer an Erfindung und Ausführung ist. Sein Gemüth ist nicht ruhig genug, weil ihm seine elenden häuslichen Verhältnisse, die er zu schwach ist zu ändern, viel Verdruß erregen.

Montag, 10. November 2008

Goethe ist in Jena und schafft etwas. -Ach, dieser hätte uns der Natur wiedergeben können auf einem edlen und dem rechten Wege, wenn er gewollt hätte. Seine Vergötterung war ihm aber lieber als die Wahrheit.

Mittwoch, 5. November 2008

Goethe sowohl als Schiller können sehr leicht in Verlegenheit vis-à-vis certaines personnes geraten, der ganze Unterschied ist nur, dass Goethe dann höflich, Schiller aber grob wird.
Doch manchmal brach Goethes kräftige Natur durch, und einmal, als eben die Maria Stuart bei Schiller besprochen war, rief Goethe beim Nachhausegehen: mich soll nur wundern, was das Publikum sagen wird, wenn die beiden Huren zusammenkommen und sich ihre Aventüren vorwerfen!
Er dauert mich; denn er sieht nicht glücklich aus. Er hat auch einen besondern Zufall schon seit dem vorigen September; es ist ihm eine Empfindung, als wenn er immer in Spinneweben mit seinem Gesicht hineinführe.
… wer erscheint plötzlich vom Gebirg herab? kein andrer als die alte göttliche Exzellenz, Goethe selbst. Er sieht die grosse Gesellschaft, und weicht etwas aus, wir machen ein geschicktes Manöver, die Hälfte der Gesellschaft zieht sich zurück, und Schlegels gehen ihn mit mir grade entgegen.

Montag, 3. November 2008

Goethens Umgang allein tut einem nicht wohl; er ist kalt und trocken für Menschen, die ihm gleichgültig sind, und um ihm mehr als das zu sein, dazu gehöret viel.
Sie liess den gerade vorbeigehenden Goethe einladen, diesem war dies unheimlich, er setzte sich hin, sprach nichts und machte ein entsetzlich verdrüsslich Gesicht. »Haben Sie Nachricht, Frau von Stein, von dem Herrn Kriegsrath aus Breslau?« war alles, was er unaufgefordert an Discours hervorgehen liess.