Montag, 22. Juni 2020
»Wenn man alt ist,«
sagte er, »denkt man über die weltlichen Dinge anders, als da man jung war. So
kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß die Dämonen, um die Menschheit
zu necken und zum besten zu haben, mitunter einzelne Figuren hinstellen, die so
anlockend sind, daß jeder nach ihnen strebt, und so groß, daß niemand sie
erreicht. So stellten sie den Rafael hin, bei dem Denken und Thun gleich
vollkommen war; einzelne treffliche Nachkommen haben sich ihm genähert, aber
erreicht hat ihn niemand. So stellten sie den Mozart hin als etwas
Unerreichbares in der Musik. Und so in der Poesie Shakespeare. Ich weiß, was
Sie mir gegen diesen sagen können, aber ich meine nur das Naturell, das große
Angeborene der Natur. So steht Napoleon unerreichbar da.«
»Da die Conception so
alt ist,« sagte Goethe, »und ich seit funfzig Jahren darüber nachdenke, so hat
sich das innere Material so sehr gehäuft, daß jetzt das Ausscheiden und Ablehnen
die schwere Operation ist. Die Erfindung des ganzen zweiten Theils ist wirklich
so alt wie ich sage. Aber daß ich ihn erst jetzt schreibe, nachdem ich über die
weltlichen Dinge so viel klarer geworden, mag der Sache zu gute kommen. Es geht
mir damit wie einem, der in seiner Jugend sehr viel kleines Silber und
Kupfergeld hat, das er während dem Lauf seines Lebens immer bedeutender
einwechselt, sodaß er zuletzt seinen Jugendbesitz in reinen Goldstücken vor
sich sieht.«
Donnerstag, 11. Juni 2020
»Die Menge, die
Majorität, ist nothwendig immer absurd und verkehrt; denn sie ist bequem, und
das Falsche ist stets viel bequemer als die Wahrheit. Letztere will ernst
erforscht und rücksichtslos angeschaut und angewendet sein. Das Falsche aber
schmiegt sich an jede träge, bequeme oder thörichte Individualität an, ist wie
ein Firniß, mit dem man leicht alles übertüncht.«
»Wenn man in und für
die Zeit schreibt, ist es gar zu unangenehm, zu finden, daß man nichts auf sie
wirkt. Ja wenn man Schiller's und meinen Briefwechsel liest, da findet man
wohl, daß diese Kerls es sich ganz anders sauer werden, ganz höllisch ernst
sein ließen. Und man wundert sich, daß sie sich so viele Mühe geben mochten;
die albernen Burschen dachten nach, suchten sich Alles klar zu machen, Theorien
von dem, was sie geschaffen hatten, zu ergrübeln; hätten es sich leichter
machen können und lieber was Frisches schaffen.«
Mittwoch, 10. Juni 2020
Kant hat unstreitig
am meisten genützt, indem er die Grenzen zog, wie weit der menschliche Geist zu
dringen fähig sei, und daß er die unauflöslichen Probleme liegen ließ. Was hat
man nicht alles über Unsterblichkeit philosophirt! und wie weit ist man
gekommen? Ich zweifle nicht an unserer Fortdauer, denn die Natur kann die
Entelechie nicht entbehren; aber wir sind nicht auf gleiche Weise unsterblich,
und um sich künftig als große Entelechie zu manifestiren, muß man auch eine
sein.
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