An Carl Friedrich Zelter
Dornburg den 10. Juli 1828.Dienstag, 24. Januar 2012
Bey dem schmerzlichsten Zustand des Innern mußte ich wenigstens meine äußern Sinne schonen und ich begab mich nach Dornburg, um jenen düstern Functionen zu entgehen, wodurch man, wie billig und schicklich, der Menge symbolisch darstellt was sie im Augenblick verloren hat und was sie dießmal gewiß auch in jedem Sinne mitempfindet.
Ich weiß nicht ob Dornburg dir bekannt ist; es ist ein Städchen auf der Höhe im Saalthale unter Jena, vor welchem eine Reihe von Schlössern und Schlößchen gerade am Absturz des Kalkflötzgebirges zu den verschiedensten Zeiten erbaut ist; anmuthige Gärten ziehen sich an Lusthäusern her; ich bewohne das alte neuaufgeputzte Schlößchen am südlichsten Ende. Die Aussicht ist herrlich und fröhlich, die Blumen blühen in den wohlunterhaltenen Gärten, die Traubengeländer sind reichlich behangen, und unter meinem Fenster seh ich einen wohlgediehenen Weinberg, den der Verblichene auf dem ödesten Abhang noch vor drey Jahren anlegen ließ und an dessen Ergrünung er sich die letzten Pfingsttage noch zu erfreuen die Lust hatte. Von den andern Seiten sind die Rosenlauben bis zum Feenhaften geschmückt und die Malven und was nicht alles blühend und bunt, und mir erscheint das alles in erhöhteren Farben wie der Regenbogen auf schwarz-grauem Grunde.
Seit funfzig Jahren hab ich an dieser Stätte mich mehrmals mit ihm des Lebens gefreut und ich könnte dießmal an keinem Orte verweilen, wo seine Thätigkeit auffallender anmuthig vor die Sinne tritt. Das Ältere erhalten und aufgeschmückt, das Neuerworbene (eben das Schlößchen, das ich bewohne, ehemals ein Privat-Eigenthum) mäßig und schicklich eingerichtet, durch anmuthige Berggänge und Terrassen mit den frühern Schloßgärten verbunden, für eine zahlreiche Hofhaltung, wenn sie keine übertriebene Forderungen macht, geräumig und genügend, und was der Gärtner ohne Pedanterie und Ängstlichkeit zu leisten verpflichtet ist, alles vollkommen, Anlage wie Flor.
Freitag, 20. Januar 2012
Und wie es ist wird es bestehen, da die jüngere Herrschaft das Gefühl des Guten und Schicklichen dieser Zustände gleichfalls in sich trägt und es mehrere Jahre bey längerem und kürzerem Aufenthalt bewährt hat. Dieß ist denn doch auch ein angenehmes Gefühl, daß ein Scheidender den Hinterbliebenen irgend einen Faden in die Hand gibt woran ferner fortzuschreiten wär.
Und so will ich denn an diesem mir verliehenen Symbol halten und verweilen.
Und so will ich denn an diesem mir verliehenen Symbol halten und verweilen.
Damit du aber wissest, wie dein Freund auf einem luftigen Schloß, von wo er ein hübsches Thal mit flachen Wiesen, steigenden Äckern und einer bis an die unzugänglichen steilen Waldränder sich erstreckenden Vegetation übersieht, wie er daselbst diese langen Tage von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zubringt, will ich dir vertrauen: daß ich schon seit einiger Zeit vom Auslande her die Naturwissenschaften wieder aufzunehmen angeregt bin. Das liebe Deutschland hat etwas ganz eigentlich Wunderliches in seiner Art; ich habe redlich aufgepaßt, ob bey denen nun seit drey Jahren eingeleiteten und durchgeführten naturwissenschaftlichen Zusammenkünften mich auch nur etwas berühre, anrühre, anrege, mich, der ich seit funfzig Jahren leidenschaftlich den Naturbetrachtungen ergeben bin; es ist mir aber, außer gewissen Einzelheiten, die mir aber eigentlich doch auch nur Kenntniß gaben, nichts zu Theil geworden, keine neue Forderung ist an mich gelangt, keine neue Gabe ward mir angeboten; ich mußte daher die Interessen zum Capital schlagen und will nun sehen, wie das Summa Summarum im Auslande fruchtet. Verschweige das löblich, denn ich erinnere mich so eben daß bey euch die Wissenschaft sich abermals in großer Breite versammelt.
Dienstag, 10. Januar 2012
„Ein solches Talent wie Béranger,“ sagte ich, „würde an sittlichen Stoffen nichts zu tun finden.“ „Sie haben recht,“ sagte Goethe, „eben an den Verkehrtheiten der Zeit offenbart und entwickelt Béranger seine bessere Natur.“ „Aber,“ sagte ich, „ist denn dieser chinesische Roman vielleicht einer ihrer vorzüglichsten?“ „Keineswegs,“ sagte Goethe, „die Chinesen haben deren zu Tausenden und hatten ihrer schon, als unsere Vorfahren noch in den Wäldern lebten.“
„Ich sehe immer mehr,“ fuhr Goethe fort, „daß die Poesie ein Gemeingut der Menschheit ist, und daß sie überall und zu allen Zeiten in Hunderten und aber Hunderten von Menschen hervortritt. Einer macht es ein wenig besser als der andere und schwimmt ein wenig länger oben als der andere, das ist alles. Der Herr von Matthisson muß daher nicht denken, er wäre es, und ich muß nicht denken, ich wäre es, sondern jeder muß sich eben sagen, daß niemand eben besondere Ursache habe, sich viel darauf einzubilden, wenn er ein gutes Gedicht macht. Aber freilich, wenn wir Deutschen nicht aus dem engen Kreise unserer eigenen Umgebung hinausblicken, so kommen wir gar zu leicht in diesen pedantischen Dünkel. Ich sehe mich daher gern bei fremden Nationen um und rate jedem, es auch seinerseits zu tun. Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.
Sonntag, 8. Januar 2012
Wohin ich gehe, find ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt, es ist alles, wie ich mir's dachte und alles neu. Eben so kann ich von meinen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, daß sie für neu gelten können - ein Pygmalionseffekt. Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man teilweise in- und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend seh ich nun lebendig.
Zu seinem landschaftlichen Erleben gehört ein ständiges Hypothesenbilden, das er als Grillen bezeichnet, ein traumähnlicher Zustand, aus dessen Passivität Phantasmen der Naturerklärung auftauchen, beispielsweise vermutete Einwirkungen der Erdmasse auf die Atmosphäre. Das wird aber nicht nur erwogen, sondern es übersetzt sich in Anschauung: "Und da ist mir eine Grille aufgestiegen, die ich auch für nichts anderes geben will, die ich aber nicht loswerden kann, wie man eben denn die Grille am wenigsten los wird. Ich sehe sie überall, als wenn es eine Wahrheit wäre."
Nur ists sonderbar und manchmal machts mich fürchten, daß so gar viel auf mich gleichsam eindringt, dessen ich mich nicht erwehren kann, daß meine Existenz wie ein Schneeball wächst, und manchmal ists, als wenn mein Kopf es nicht fassen noch ertragen könnte, und doch entwickelt sich alles von innen heraus, und ich kann nicht leben ohne das.
Mittwoch, 4. Januar 2012
Meine Übung alle Dinge, wie sie sind, zu sehen und zu lesen, meine Treue das Auge Licht sein zu lassen, meine völlige Entäußerung von aller Prätention, machen mich hier höchst im Stillen glücklich. Alle Tage ein neuer merkwürdiger Gegenstand, täglich neue, große, seltsame Bilder und ein Ganzes, das man sich lange denkt und träumt, nie mit der Einbildungskraft erreicht.
Am 1. März, am Tag eines Ausflugs nach Pozzuoli, über den es heißt: "von dem heutigen Tage wäre schwerlich Rechenschaft zu geben", wird scheinbar ohne Anlass ein Topos der Erleuchtungserlebnisse beschworen: "Wer hat es nicht erfahren, daß die flüchtige Lesung eines Buchs, das ihn unwiderstehlich fortriß, auf sein ganzes Leben den größten Einfluß hatte und schon die Wirkung entschied, zu der Wiederlesen und ernstliches Betrachten kaum in der Folge mehr hinzutun konnte."
Die femmes auteurs (und wohl überhaupt) fassen die Männer nur unter der Form des Liebhabers auf und stellen sie dar; daher alle Helden in weiblichen Schriften die Gartenmanns-Figur machen. - Coquette ist Egoismus in Form der Schönheit. Die Weiber sind rechte Egoisten, indem man nur in ihr Interesse fällt, sofern sie uns lieben oder wir ihre Liebhaber machen oder sie uns zu Liebhabern wünschen. Eine ruhige, freie, absichtslose Teilnahme und Beurteilung fällt ganz ausser ihrer Fähigkeit. Sie sehen alles nicht etwa nur aus ihrem Standpunkt, sondern in persönlichem Bezug auf sich.
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