Freitag, 21. Oktober 2011

Als der Kanzler und Coudray gingen, bat Goethe mich, noch ein wenig bei ihm zu bleiben. „Da ich in Jahrtausenden lebe,“ sagte er, „so kommt es mir immer wunderlich vor, wenn ich von Statuen und Monumenten höre. Ich kann nicht an eine Bildsäule denken, die einem verdienten Manne gesetzt wird, ohne sie im Geiste schon von künftigen Kriegern umgeworfen und zerschlagen zu sehen. Coudrays Eisenstäbe um das Wielandsche Grab sehe ich schon als Hufeisen unter den Pferdefüßen einer künftigen Kavallerie blinken, und ich kann noch dazu sagen, daß ich bereits einen ähnlichen Fall in Frankfurt erlebt habe. Das Wielandsche Grab liegt überdies viel zu nahe an der Ilm; der Fluß braucht in seiner raschen Biegung kaum einhundert Jahre am Ufer fortzuzehren, und er wird die Toten erreicht haben.“
So ist es; aber heutigentags wird alles durcheinander gemengt und verwechselt, und niemand weiß, woher die Dinge kommen.
Der Familientisch zu fünf Kuverts stand gedeckt, die Zimmer waren leer und kühl, welches bei der großen Hitze sehr wohl tat. Ich trat in das geräumige, an den Speisesaal angrenzende Zimmer, worin der gewirkte Fußteppich liegt und die kolossale Büste der Juno steht. Ich war nicht lange allein auf- und abgegangen, als Goethe, aus seinem Arbeitszimmer kommend, hereintrat und mich in seiner herzlichen Art liebevoll begrüßte und anredete. Er setzte sich auf einen Stuhl am Fenster. „Nehmen Sie sich auch ein Stühlchen“, sagte er, „und setzen Sie sich zu mir, wir wollen ein wenig reden, bis die Übrigen kommen. Es ist mir lieb, daß Sie doch auch den Grafen Sternberg bei mir haben kennen gelernt; er ist wieder abgereist, und ich bin nun ganz wieder in der gewohnten Tätigkeit und Ruhe.“

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Ich fand Goethe allein, in Betrachtung der Gipspasten nach dem Stoschschen Kabinett.

Montag, 3. Oktober 2011

Wolltest Herrliches gewinnen,
Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? – Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage
Blutend alles Volk verstummt.

"Das Böhmen ist ein eigenes Land", sagte Goethe, "ich bin dort immer gerne gewesen. Die Bildung der Literatoren hat dort noch etwas Reines, welches im nördlichen Deutschland schon anfängt selten zu werden, indem hier jeder Lump schreibt, bei dem an ein sittliches Fundament und eine höhere Absicht nicht zu denken ist."
„Ich sage immer und wiederhole es“, begann er, „die Welt könnte nicht bestehen, wenn sie nicht so einfach wäre. Dieser elende Boden wird nun schon tausend Jahre bebaut, und seine Kräfte sind immer dieselbigen. Ein wenig Regen, ein wenig Sonne, und es wird jeden Frühling wieder grün, und so fort.“
„Ich sehe immer mehr,“ fuhr Goethe fort, „daß die Poesie ein Gemeingut der Menschheit ist, und daß sie überall und zu allen Zeiten in Hunderten und aber Hunderten von Menschen hervortritt. Einer macht es ein wenig besser als der andere und schwimmt ein wenig länger oben als der andere, das ist alles. Der Herr von Matthisson muß daher nicht denken, er wäre es, und ich muß nicht denken, ich wäre es, sondern jeder muß sich eben sagen, daß niemand eben besondere Ursache habe, sich viel darauf einzubilden, wenn er ein gutes Gedicht macht. Aber freilich, wenn wir Deutschen nicht aus dem engen Kreise unserer eigenen Umgebung hinausblicken, so kommen wir gar zu leicht in diesen pedantischen Dünkel. Ich sehe mich daher gern bei fremden Nationen um und rate jedem, es auch seinerseits zu tun. Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.
„Ein solches Talent wie Béranger,“ sagte ich, „würde an sittlichen Stoffen nichts zu tun finden.“ „Sie haben recht,“ sagte Goethe, „eben an den Verkehrtheiten der Zeit offenbart und entwickelt Béranger seine bessere Natur.“ „Aber,“ sagte ich, „ist denn dieser chinesische Roman vielleicht einer ihrer vorzüglichsten?“ „Keineswegs,“ sagte Goethe, „die Chinesen haben deren zu Tausenden und hatten ihrer schon, als unsere Vorfahren noch in den Wäldern lebten.“