Sonntag, 29. November 2009

„Ich bin Gott darin ähnlich, dass er immer geschehen lässt, was er nicht will“, sagte Goethe über Tisch, worauf Werner bemerkte, dass Goethe Gott darin ähnlich sei, dass er auch alles vergässe.
Wir sprachen darauf über die manchen Jahre seiner Theaterleitung, und welche unendliche Zeit er damit für sein schriftstellerisches Wirken verloren. „Freilich,“ sagte Goethe, „ich hätte indes manches gute Stück schreiben können, doch wenn ich es recht bedenke, gereut es mich nicht. Ich habe all mein Wirken und Leisten immer nur symbolisch angesehen, und es ist mir im Grunde ziemlich gleichgültig gewesen, ob ich Töpfe machte oder Schüsseln.“
Mittags Frommanns, Oken, Werner, Fernow, Meyer, Schopenhauer, Ulrich.

Sonntag, 22. November 2009

„Durch das jetzt in Deutschland allgemein verbreitete Interesse an Kunst und Poesie wird weder für diese beiden, noch für die Erscheinung eines originalen und ersten und einzigen Meisterwerks etwas gewonnen. Der Kunst-Genius producirt zu allen Zeiten, in mehr oder minder geschmeidigem Stoff, wie die Vorwelt Homer, Aeschylos, Sophokles, Dante, Ariost, Calderon und Shakespeare gesehen hat; es ist nur dies der Unterschied, daß jetzt auch die Mittelmäßigkeit und die secondären Figuren dran kommen und alle untern Kunsteigenschaften, die zur Technik gehören. Es wird nun auch im Thale licht, statt daß sonst nur die hohen Berggipfel Sonne trugen.
So ist es auch mit andern Stimmungen des Geistes, mit der religiösen, amourösen, bellicosen und andern. In einzelnen Individuen sind sie zu allen Zeiten gewesen und noch. Aber allgemein verbreitet nur zu gewissen Zeitaltern, und immer sind sie der Cometenschwanz irgend eines in diesen ausgezeichneten Mannes ober mehrerer, in denen, wie an den Spitzen der Berge, zuerst diese Morgenröthe schimmerte. Jede solche Stimmung lebt einen Tag, hat ihren Morgen, Mittag, Nachmittag und Abend. So ist's mit der Kunst; so wird es auch mit der Poesie werden, die jetzt im Nachmittag ist.“ Oder wie Goethe sonst zu sagen liebte: „Es ist wie eine Krankheit, durch die man hindurch muß.“
An eben dem Tage erzählte er mir, da wir zusammen von Jena nach Weimar fuhren, den Inhalt, den er seinem Roman Die Wahlverwandtschaften geben wollte.
Es seien ja dies alles nur Fetzen und Lappen von seiner Existenz; da einmal ein alter Hut, und dort ein paar Schuhe, und dort ein Lappen von einem Rock, den er einmal getragen.
Mit Werner habe ich den letzten Tag seiner Anwesenheit eine wunderliche Unterredung auf dem Schlosse gehabt, er hat mir sein System der Liebe auseinandergesetzt, tief ergreifend, weil man immer fühlte, wie er sich das Ganze nur wie einen Galgen aus Verzweiflung über Unglück erbaut hat. … Von Goethe meinte er, dass er vielleicht nie geliebt, sondern immer in einer Art Meisterschaft stehen geblieben wäre.
Nur allein der Mensch
vermag das Unmögliche;
Er unterscheidet,
wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.

Mittwoch, 4. November 2009

Goethe sprach darauf über seine Gegner, und dass dieses Geschlecht nie aussterbe. „Ihre Zahl ist Legion,“ sagte er, „doch ist es nicht unmöglich, sie einigermassen zu klassifizieren.“
„Zuerst nenne ich meine Gegner aus Dummheit; es sind solche, die mich nicht verstanden, und die mich tadelten, ohne mich zu kennen. Diese ansehnliche Masse hat mir in meinem Leben viel Langeweile gemacht; doch es soll ihnen verziehen sein, denn sie wussten nicht, was sie taten.“
„Eine zweite grosse Menge bilden sodann meine Neider. Diese Leute gönnen mir das Glück und die ehrenvolle Stellung nicht, die ich durch mein Talent mir erworben. Sie zerren an meinem Ruhm und hätten mich gerne vernichtet. Wäre ich unglücklich und elend, so würden sie aufhören.“
„Ferner kommt eine grosse Anzahl derer, die aus Mangel an eigenem Sukzess meine Gegner geworden. Es sind begabte Talente darunter, allein sie können mir nicht verzeihen, dass ich sie verdunkele.“
„Viertens nenne ich meine Gegner aus Gründen. Denn da ich ein Mensch bin, und als solcher menschliche Fehler und Schwächen habe, so können auch meine Schriften davon nicht frei sein. Da es mir aber mit meiner Bildung ernst war und ich an meiner Veredelung unablässig arbeitete, so war ich im beständigen Fortstreben begriffen, und es ereignete sich oft, dass sie mich wegen eines Fehlers tadelten, den ich längst abgelegt hatte. Diese Guten haben mich am wenigsten verletzt; sie schossen nach mir, wenn ich schon meilenweit von ihnen entfernt war. Überhaupt war ein abgemachtes Werk mir ziemlich gleichgültig; ich befasste mich nicht weiter damit und dachte sogleich an etwas Neues.
„Eine fernere grosse Masse zeigt sich als meine Gegner aus abweichender Denkungsweise und verschiedenen Ansichten. Man sagt von den Blättern eines Baumes, dass deren kaum zwei vollkommen gleich befunden werden, und so möchten sich auch unter tausend Menschen kaum zwei finden, die in ihrer Gesinnungs- und Denkungsweise vollkommen harmonieren. Setze ich dieses voraus, so sollte ich mich billig weniger darüber wundern, dass die Zahl meiner Widersacher so gross ist, als vielmehr darüber, dass ich noch so viele Freunde und Anhänger habe. Meine ganze Zeit wich von mir ab, denn sie war ganz in subjektiver Richtung begriffen, während ich in meinem objektiven Bestreben im Nachteile und völlig allein stand.“
Im ganzen ist der Stil eines Schriftstellers ein treuer Abdruck seines Inneren; will jemand einen klaren Stil schreiben, so sei es ihm zuvor klar in seiner Seele, und will jemand einen grossartigen Stil schreiben, so habe er einen grossartigen Charakter.
Madame Roland, auf dem Blutgerüste, verlangte Schreibzeug, um die ganz besondern Gedanken aufzuschreiben, die ihr auf dem letzten Wege vorgeschwebt. Schade, dass man ihr's versagte; denn am Ende des Lebens gehen dem gefassten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbare; sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen.
Goethe ist wohl und hat heute wieder Damenbesuch.