Samstag, 30. Mai 2009

»Das ist auch so ein Theaterkind wie du, Ottilie«, sagte er dann, und wir freuten uns miteinander über unsere beiderseitige Neigung. »Meine Tochter«, fügte er hinzu, »versäumt keinen Abend.« – »Solange gute heitere Stücke gegeben werden,« erwiderte ich, »lasse ich es gelten, allein bei schlechten Stücken muss man auch etwas aushalten.« – »Das ist eben recht,« erwiderte Goethe, »dass man nicht fort kann und gezwungen ist auch das Schlechte zu hören und zu sehen. Da wird man recht von Hass gegen das Schlechte durchdrungen und kommt dadurch zu einer desto besseren Einsicht des Guten. Beim Lesen ist das nicht so, da wirft man das Buch aus den Händen, wenn es einem nicht gefällt, aber im Theater muss man aushalten.« Ich gab ihm recht und dachte, der Alte sagt auch gelegentlich immer etwas Gutes.
»Gewiss«, sagte Schultz, »ist die persönliche Einwirkung eines so ausserordentlichen Menschen und Meisters wie Goethe ganz unschätzbar. Ich bin auch herübergekommen, um mich an diesem grossen Geiste einmal wieder zu erquicken.«
Goethe sagte einmal zu Rühle: »Ich heidnisch? Nun ich habe doch Gretchen hinrichten und Ottilie verhungern lassen; ist das den Leuten nicht christlich genug? Was wollen sie noch Christlicheres?«
Es geht uns hier ganz gut. Kaaz hat sich wohlbefunden, und geht morgen früh ab. Ich habe ihm Geld mitgegeben, dass er Suppen-Ingredienzien schicken soll, wozu er auch etwas Parmesan-Käse legen will, als welcher zu den Macaronis ganz unentbehrlich ist.
»Ich kann dieses Buch durchaus nicht billigen, Herr von Goethe; es ist wirklich unmoralisch, und ich empfehle es keinem Frauenzimmer.« Darauf hat Goethe eine Weile ganz ernsthaft geschwiegen und endlich mit vieler Innigkeit gesagt: »Das thut mir leid, es ist doch mein bestes Buch. Glauben Sie nicht, daß es die Grille eines alten Mannes ist – ja, man liebt das Kind am meisten, welches aus der letzten Ehe, aus der spätesten Zeit unserer Zeugungskraft stammt. Aber Sie thun mir und dem Buche Unrecht. Das Gesetz in dem Buche ist wahr, das Buch ist nicht unmoralisch, Sie müssen's nur vom größeren Gesichtspuncte betrachten; der gewöhnliche moralische Maßstab kann bei solchem Verhältniß sehr unmoralisch auftreten.«
Goethe kommt mir vor, wie der Orpheus in der antiken Poesie, der sich vor den auf seinen Gesang andringenden Bestien gewissermassen fürchtet. ... Goethen ist die Zärtlichkeit der Tiere unangenehm, sie macht ihm weh; aber mir macht die Zärtlichkeit gewisser Weiber gegen ihn noch viel weher, die mir viel schlimmer als diese Bestien vorkommen, eben weil es doch Menschen sind.
Knebel scheint sich in seiner Strohwittwerschaft ganz wohl zu befinden, doch ist er mir etwas nachdenklicher als sonst, und ich denke, in kurzem wird sich eine Vereinigung der alten Zustände wiedergefunden haben. Der Knabe wird alle Tage braver und besser, nur fehlt es ihm an Beschäftigung und Anregung von aussen. Wenn er unter vielen seines gleichen wäre und recht lebhaften Unterricht erhielte, so könnte etwas aus ihm werden.

Freitag, 15. Mai 2009

Die Gegenwart will ihre Rechte; was sich täglich im Dichter von Gedanken und Empfindungen aufdrängt, das will und soll ausgesprochen sein. Hat man aber ein grösseres Werk im Kopfe, so kann nichts daneben aufkommen, so werden alle Gedanken zurückgewiesen, und man ist für die Behaglichkeit des Lebens selbst so lange verloren. Welche Anstrengung und Verwendung von Geisteskraft gehört nicht dazu, um nur ein grosses Ganzes in sich zu ordnen und abzurunden, und welche Kräfte und welche ruhige ungestörte Lage im Leben, um es dann in einem Fluss gehörig auszusprechen. Hat man sich nun im Ganzen vergriffen, so ist alle Mühe verloren; ist man ferner, bei einem so umfangreichen Gegenstande, in einzelnen Teilen nicht völlig Herr seines Stoffes, so wird das Ganze stellenweise mangelhaft werden, und man wird gescholten; und aus allem entspringt für den Dichter statt Belohnung und Freude für so viele Mühe und Aufopferung nichts als Unbehagen und Lähmung der Kräfte. Fasst dagegen der Dichter täglich die Gegenwart auf, und behandelt er immer gleich in frischer Stimmung, was sich ihm darbietet, so macht er sich immer etwas Gutes, und gelingt ihm auch einmal etwas nicht, so ist nichts daran verloren.
Da ist der August Hagen in Königsberg, ein herrliches Talent; haben Sie seine ›Olfried und Lisena‹ gelesen ? Da sind Stellen darin, wie sie nicht besser sein können; die Zustände an der Ostsee, und was sonst in dortige Lokalität hineinschlägt, alles meisterhaft. Aber es sind nur schöne Stellen, als Ganzes will es niemanden behagen. Und welche Mühe und welche Kräfte hat er daran verwendet! ja er hat sich fast daran erschöpft. Jetzt hat er ein Trauerspiel gemacht!

Donnerstag, 14. Mai 2009

Dabei lächelte Goethe und hielt einen Augenblick inne.
Ich nahm das Wort und sagte, dass, wenn ich nicht irre, er Hagen in ›Kunst und Altertum‹ geraten, nur kleine Gegenstände zu behandeln. „Freilich habe ich das,“ erwiderte Goethe; „aber tut man denn, was wir Alten sagen? Jeder glaubt, er müsse es doch selber am besten wissen, und dabei geht mancher verloren, und mancher hat lange daran zu irren. Es ist aber jetzt keine Zeit mehr zum Irren, dazu sind wir Alten gewesen; und was hätte uns alle unser Suchen und Irren geholfen, wenn ihr jüngeren Leute wieder dieselbigen Wege laufen wolltet? Da kämen wir ja nie weiter! Uns Alten rechnet man den Irrtum zugute, weil wir die Wege nicht gebahnt fanden; wer aber später in die Welt eintritt, von dem verlangt man mehr, der soll nicht abermals irren und suchen, sondern er soll den Rat der Alten nutzen und gleich auf gutem Wege fortschreiten. Es soll nicht genügen, dass man Schritte tue, die einst zum Ziele führen, sondern jeder Schritt soll Ziel sein und als Schritt gelten.“
Tragen Sie diese Worte bei sich herum, und sehen Sie zu, was Sie davon mit sich vereinigen können. Es ist mir eigentlich um Sie nicht bange, aber ich helfe Sie durch mein Zureden vielleicht schnell über eine Periode hinweg, die Ihrer jetzigen Lage nicht gemäss ist. Machen Sie vorderhand, wie gesagt, immer nur kleine Gegenstände, immer alles frischweg, was sich Ihnen täglich darbietet, so werden Sie in der Regel immer etwas Gutes leisten, und jeder Tag wird Ihnen Freude bringen. Geben Sie es zunächst in die Taschenbücher, in die Zeitschriften; aber fügen Sie sich nie fremden Anforderungen, sondern machen Sie es immer nach Ihrem eigenen Sinn.

Dienstag, 12. Mai 2009

„Aber lassen Sie vorderhand alles Grosse zur Seite. Sie haben lange genug gestrebt, es ist Zeit, dass Sie zur Heiterkeit des Lebens gelangen, und dazu eben ist die Bearbeitung kleiner Gegenstände das beste Mittel.“
Was werde ich nun diesen Winter nicht noch bei ihm lernen, und was werde ich nicht durch den blossen Umgang mit ihm gewinnen, auch in Stunden, wenn er eben nicht grade etwas Bedeutendes spricht! – Seine Person, seine blosse Nähe scheint mir bildend zu sein, selbst wenn er kein Wort sagte.
Ich fühle mich nun durch Goethes Worte um ein paar Jahre klüger und fortgerückt und weiss in meiner tiefsten Seele das Glück zu erkennen, was es sagen will, wenn man einmal mit einem rechten Meister zusammentrifft. Der Vorteil ist gar nicht zu berechnen.

Freitag, 8. Mai 2009

»Das Publicum besonders das deutsche, ist eine närrische Carricatur des Demos. Es bildet sich wirklich ein, eine Art von Instanz, von Senat auszumachen und im Leben und Lesen dieses oder jenes wegvotiren zu können, was ihm nicht gefällt. Dagegen ist kein Mittel als ein Mittel Ausharren.«
Ich glaube, ihn selbst gesehen zu haben, ist zu dem Verständnisse seiner Gedichte ungemein förderlich. In ihnen ist diesselbe Mischung der grossartigsten, reinsten und edelsten Natur, die ein sinnvoller Mensch sogleich anerkennt und verehrt, und jener höchst eigentümlichen besonderen Bildung, deren Gang man nur zuweilen errät. Erregt doch auch der wunderbare Blick seiner Augen ebensowohl das vollste Vertrauen, als er uns ferne von ihm hält. ... Man findet diese Einsamkeit, meine ich, in den meisten seiner Werke und das Ansprechendste und Einleuchtendste mit dem Seltsamsten und Fremdartigsten verbunden.
Die Ottilie ist ein Fräulein, von der Goethe gesagt hat, es stäke nicht ein, sondern tausend Engel in ihr.

Sonntag, 3. Mai 2009

Das Inhaltsverzeichnis ist mir zur rechten Zeit gekommen und entspricht ganz meinen Wünschen und Zwecken. Lassen Sie mich die Frankfurter Rezensionen bei meiner Rückkehr auf gleiche Weise redigiert finden, so zolle ich den besten Dank, welchen ich vorläufig schon im Stillen entrichte, indem ich Ihre Gesinnungen, Zustände, Wünsche, zwecke und Pläne mit mir teilnehmend herumtrage, um bei meiner Rückkunft mich über Ihr Wohl desto gründlicher besprechen zu können. Mehr sag’ ich heute nicht. Der Abschied von Marienbad gibt mancherlei zu denken und zu tun, während man ein allzu kurzes Verweilen mit vorzüglichen Menschen gar schmerzlich empfindet.
Möge ich Sie in stiller Tätigkeit antreffen, aus der denn doch zuletzt am sichersten und reinsten Weltumsicht und Erfahrung hervorgeht. Leben Sie wohl; freue mich auf ein längeres und engeres Zusammensein.
Mit der Goethe und der Ulrich zu Tisch. Dass Goethe jetzt so heftig werde und sich gehen lasse. Woher es komme.
Wenn so beide (er und Günther) zusammen kämen, das komme ihm immer so vor, als wenn ein paar indische Götter sich so einander besuchen und etwas voneinander haben wollen.
»Ich muss geradeheraus sagen,« begann er, »ich wünsche, dass Sie diesen Winter bei mir in Weimar bleiben.« Dies waren seine ersten Worte, dann ging er näher ein und fuhr fort: »In der Poesie und Kritik steht es mit Ihnen aufs beste, Sie haben darin ein natürliches Fundament; das ist Ihr Metier, woran Sie sich zu halten haben und welches Ihnen auch sehr bald eine tüchtige Existenz zuwege bringen wird. Nun ist aber noch manches, was nicht eigentlich zum Fache gehört und was Sie doch auch wissen müssen. Es kommt aber darauf an, dass Sie hiebei nicht lange Zeit verlieren sondern schnell darüber hinwegkommen. Das sollen Sie nun diesen Winter bei uns in Weimar, und Sie sollen sich wundern, wie weit Sie Ostern sein werden. Sie sollen von allem das Beste haben, weil die besten Hülfsmittel in meinen Händen sind. Dann stehen Sie fürs Leben fest und kommen zum Behagen und können überall mit Zuversicht auftreten.«
»Für eine Wohnung in meiner Nähe«, fuhr Goethe fort, »werde ich sorgen; Sie sollen den ganzen Winter keinen unbedeutenden Moment haben. Es ist in Weimar noch viel Gutes beisammen, und Sie werden nach und nach in den höhren Kreisen eine Gesellschaft finden, die den besten aller grossen Städte gleichkommt. Auch sind mit mir persönlich ganz vorzügliche Männer verbunden, deren Bekanntschaft Sie nach und nach machen werden und deren Umgang Ihnen im hohen Grade lehrreich und nützlich sein wird.«
Merkwürdige Reflexion Goethes über sich selbst: Dass er das Ideelle unter einer weiblichen Form oder unter der Form des Weibes concipirt. Wie ein Mann sei, das wisse er ja nicht. Den Mann zu schildern sei ihm nur biographisch möglich, es müsse etwas Historisches zum Grunde liegen.
Bei Gelegenheit des Theaters, und was dabei vorgeht, scheinbar ohne Goethes Wissen, sagte er, dass er mehr davon wisse als Gott selbst, der sich um solchen Dreck nicht bekümmerte.
„Du hast wohl recht, aber wir andern sind so daran gewöhnt, uns alles von ihm gefallen zu lassen, dass es uns nie einfällt, darüber böse zu werden oder zu zürnen.“ „Das mag sein, aber Goethe würde es in seiner Jugend schwerlich geduldet haben, so behandelt zu werden.“

Samstag, 2. Mai 2009

Bei den Weibern zählt einer wenigstens mit, wiegt er auch nicht mit. Sie schätzen die Courmacher nach der Zahl, nicht nach dem Gewichte.