Dienstag, 28. April 2009

Wir saßen lange beisammen, in ruhiger, liebevoller Stimmung. Ich drückte seine Knie, ich vergaß das Reden über seinem Anblick, ich konnte mich an ihm nicht satt sehen. Das Gesicht so kräftig und braun und voller Falten und jede Falte voller Ausdruck. Und in allem solche Biederkeit und Festigkeit und solche Ruhe und Größe! Er sprach langsam und bequem, so wie man sich wohl einen bejahrten Monarchen denkt, wenn er redet. Man sah ihm an, daß er in sich selber ruht und über Lob und Tadel erhaben ist. Es war mir bei ihm unbeschreiblich wohl; ich fühlte mich beruhigt, so wie es jemandem sein mag, der nach vieler Mühe und langem Hoffen endlich seine liebsten Wünsche befriedigt sieht.
Alles was Meinungen über die Dinge sind, gehört dem Individuum an, und wir wissen nur zu sehr, dass die Ueberzeugung nicht von der Einsicht, sondern von dem Willen abhängt; dass niemand etwas begreift, als was ihm gemäss ist und was er deswegen zugeben mag. Im Wissen wie im Handeln entscheidet das Vorurteil alles, und das Vorurteil, wie sein Name wohl bezeichnet, ist ein Urteil vor der Untersuchung. Es ist eine Bejahung oder Verneinung dessen, was unsere Natur anspricht oder ihr widerspricht; es ist ein freudiger Trieb unseres lebendigen Wesens nach dem Wahren wie nach dem Falschen, nach allem, was wir mit uns im Einklang fühlen.
Er ist das vollkommenste Wesen, das ich kenne, auch im Äusseren; eine hohe, schöne Gestalt, die sich sehr gerade hält, sehr sorgfältig gekleidet, immer schwarz oder ganz dunkelblau, die Haare recht geschmackvoll frisiert und gepudert, wie es seinem Alter ziemt, und ein gar prächtiges Gesicht mit zwei klaren Augen, die mild und durchdringend zugleich sind. ...
Das Weib ist ein organisiertes Gebären, das Organ des Gebärens. Des Mannes telos ist viel idealer und geistiger. Und sein Verdienst besteht im ideellen und geistigen Wirken.

Montag, 27. April 2009

Mit Liebe schieden wir auseinander; ich im hohen Grade glücklich, denn aus jedem seiner Worte sprach Wohlwollen und ich fühlte, daß er es überaus gut mit mir im Sinne habe.

Samstag, 25. April 2009

Goethe hatte einen Band der Farbenlehre vor sich liegen. „Ich bin“, sagte er, „Ihnen noch immer eine Antwort wegen des Phänomens der farbigen Schatten schuldig. Da dieses aber vieles voraussetzt und mit vielem andern zusammenhängt, so will ich Ihnen auch heute keine aus dem Ganzen herausgerissene Erklärung geben, vielmehr habe ich gedacht, daß es gut sein würde, wenn wir die Abende, die wir zusammenkommen, die ganze Farbenlehre miteinander durchlesen. Dadurch haben wir immer einen soliden Gegenstand der Unterhaltung, und Sie selbst werden sich die ganze Lehre zu eigen machen, so daß Sie kaum merken, wie Sie dazu kommen. Das Überlieferte fängt bei Ihnen an zu leben und wieder produktiv zu werden, wodurch ich denn voraussehe, daß diese Wissenschaft sehr bald Ihr Eigentum sein wird. Nun lesen Sie den ersten Abschnitt.“
Wir sprachen von Professoren, die, nachdem das Bessere gefunden, immer noch die Newtonische Lehre vortragen. „Dies ist nicht zu verwundern,“ sagte Goethe; „solche Leute gehen im Irrtum fort, weil sie ihm ihre Existenz verdanken. Sie müßten umlernen, und das wäre eine sehr unbequeme Sache.“ „Aber,“ sagte ich, „wie können ihre Experimente die Wahrheit beweisen, da der Grund ihrer Lehre falsch ist?“ – „Sie beweisen auch die Wahrheit nicht,“ sagte Goethe, „und das ist auch keineswegs ihre Absicht, sondern es liegt ihnen bloß daran, ihre Meinung zu beweisen. Deshalb verbergen sie auch alle solche Experimente, wodurch die Wahrheit an den Tag kommen und die Unhaltbarkeit ihrer Lehre sich darlegen könnte.“

Freitag, 24. April 2009

„Es gereut mich auch keineswegs,“ sagte Goethe, „obgleich ich die Mühe eines halben Lebens hineingesteckt habe. Ich hätte vielleicht ein halb Dutzend Trauerspiele mehr geschrieben, das ist alles, und dazu werden sich noch Leute genug nach mir finden.“
„In der Farbenlehre steht mir nun noch die Entwickelung des Regenbogens bevor, woran ich zunächst gehen werde. Es ist dieses eine äußerst schwierige Aufgabe, die ich jedoch zu lösen hoffe. Es ist mir aus diesem Grunde lieb, jetzt mit Ihnen die Farbenlehre wieder durchzugehen, wodurch sich denn, zumal bei Ihrem Interesse für die Sache, alles wieder anfrischt.“
„Wenn nur die Menschen“, fuhr Goethe fort, „das Rechte, nachdem es gefunden, nicht wieder umkehrten und verdüsterten, so wäre ich zufrieden; denn es täte der Menschheit ein Positives not, das man ihr von Generation zu Generation überlieferte, und es wäre doch gut, wenn das Positive zugleich das Rechte und Wahre wäre. In dieser Hinsicht sollte es mich freuen, wenn man in den Naturwissenschaften aufs Reine käme, und sodann im Rechten beharrte und nicht wieder transzendierte, nachdem im Faßlichen alles getan worden. Aber die Menschen können keine Ruhe halten, und ehe man es sich versieht, ist die Verwirrung wieder oben auf.“
Goethe war in der besten Laune, und ich war glücklich, ihn abermals über so bedeutende Dinge reden zu hören. „Wir wollen uns nur“, sagte er, „im stillen auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen lassen; das ist das Beste.“

Mittwoch, 22. April 2009

Seit man nun aber nach des trefflichen Mannes Tode in dieser Wissenschaft das Oberste zu unterst kehrt, gehe ich in diesem Fache öffentlich nicht weiter mit, sondern halte mich im stillen in meiner Überzeugung fort.

Sonntag, 19. April 2009

Es ist aber der kindisch egoistische Widerspruchsgeist im Menschen, dass er gegen sich selbst zerstörend verfährt, nur um ein anderes nicht über sich zu leiden. Lobt man ein Bestimmtes, so weiss er gleich noch ein anderes darüber aufzustellen, um jenes zu vernichten; tadelt man etwas, so steigt er gleich einige Stufen tiefer, um zu zeigen, dass es noch vieles unter jenem gebe, und so dies zu entschuldigen, ja zu erheben.
„Man erschrickt,“ sagte Goethe, „wenn man diese Bilderchen durchsieht! Da wird man erst gewahr, wie unendlich reich und groß Shakespeare ist! Da ist doch kein Motiv des Menschenlebens, das er nicht dargestellt und ausgesprochen hätte! Und alles mit welcher Leichtigkeit und Freiheit!“
Das Gespräch wendete sich auf Byron, und zwar wie er gegen Shakespeares unschuldige Heiterkeit im Nachteil stehe, und wie er durch sein vielfältig negatives Wirken sich so häufigen und meistenteils nicht ungerechten Tadel zugezogen habe. „Hätte Byron Gelegenheit gehabt,“ sagte Goethe, „sich alles dessen, was von Opposition in ihm war, durch wiederholte derbe Äußerungen im Parlament zu entledigen, so würde er als Poet weit reiner dastehen. So aber, da er im Parlament kaum zum Reden gekommen ist, hat er alles, was er gegen seine Nation auf dem Herzen hatte, bei sich behalten, und es ist ihm, um sich davon zu befreien, kein anderes Mittel geblieben, als es poetisch zu verarbeiten und auszusprechen. Einen großen Teil der negativen Wirkungen Byrons möchte ich daher verhaltene Parlamentsreden nennen, und ich glaube sie dadurch nicht unpassend bezeichnet zu haben.“
Es kam darauf einer unserer neuesten deutschen Dichter zur Erwähnung, der sich in kurzer Zeit einen bedeutenden Namen gemacht, dessen negative Richtung jedoch gleichfalls nicht gebilligt wurde.
„Es ist nicht zu leugnen,“ sagte Goethe, „er besitzt manche glänzende Eigenschaften; allein ihm fehlt – die Liebe. – Er liebt so wenig seine Leser und seine Mitpoeten als sich selber, und so kommt man in den Fall, auch auf ihn den Spruch des Apostels anzuwenden: „Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“ Noch in diesen Tagen habe ich Gedichte von Platen gelesen und sein reiches Talent nicht verkennen können. Allein, wie gesagt, die Liebe fehlt ihm, und so wird er auch nie so wirken, als er hätte
müssen. Man wird ihn fürchten, und er wird der Gott derer sein, die gern wie er negativ wären, aber nicht wie er das Talent haben.“
Der Freiheitssinn und die Vaterlandsliebe, die man aus den Alten zu schöpfen meint, wird in den meisten Leuten zur Fratze. Was dort aus dem ganzen Zustand der Nation, ihrer Jugend, ihrer Lage zu andern, ihrer Cultur hervorging, wird bei uns eine ungeschickte Nachahmung. Unser Leben führt uns nicht zur Absonderung und Trennung von andern Völkern, vielmehr zu dem größten Verkehr; unsere bürgerliche Existenz ist nicht die der Alten; wir leben auf der einen Seite viel freier, ungebundener und nicht so einseitig beschränkt als die Alten, auf der andern ohne solche Ansprüche des Staats an uns, daß wir eifersüchtig auf seine Belohnung zu sein Ursache und deswegen einen Patricieradel zu souteniren hätten. Der ganze Gang unserer Cultur, der christlichen Religion selbst führt uns zur Mittheilung, Gemeinmachung, Unterwürfigkeit und zu allen gesellschaftlichen Tugenden, wo man nachgiebt, gefällig ist, selbst mit Aufopferung der Gefühle und Empfindungen, ja Rechte, die man im rohen Naturzustande haben kann. Sich den Obern zu widersetzen, einem Sieger störrig und widerspenstig zu begegnen, darum weil uns Griechisch und Lateinisch im Leibe steckt, er aber von diesen Dingen wenig oder nichts versteht, ist kindisch und abgeschmackt. Das ist Professorstolz, wie es Handwerksstolz, Bauernstolz und dergleichen giebt, der seinen Inhaber ebenso lächerlich macht, als er ihm schadet.
In Bezug auf Werke guter Schriftsteller: Wenn der Bäcker wüsste oder bedächte, was für ein Lumpenpack sein Brot ässe, er würde lieber keines backen.
»Das wird freilich eine große Operation sein, aber was der Historiker nach solcher Plage für Wahrheit hält, ist immer nur für ihn, ist nur subjective [93] Wahrheit; unbestreitbare, objective Wahrheit ist es nicht.«
Fichte beantwortete die Frage des Pilatus: was ist Wahrheit? – einmal mit folgenden Worten: Wahrheit ist, was nothwendig so gedacht werden muß, wie es gedacht ist, was schlechthin nicht anders gedacht werden kann.
»Nämlich von Fichte oder von mir. Also hat ein jeder seine eigene Wahrheit. Die mathematische Wahrheit aber ist für Alle dieselbe.«
Man braucht wahrlich nicht den Widerspruch zu seinem Grundsatze gemacht zu haben, um den Gang der Dinge anders zu denken, als sie uns überliefert oder von irgend einem Historiker dargestellt werden können. Und solange dieses der Fall ist, so lange wird es verstattet sein, die Geschichte des Irrtums zu zeihen, und ihre Ueberlieferungen als falsch anzusehen.
»Aber nun doch noch eine Frage. Was wollen Sie denn zuletzt mit Ihrer Geschichte, mit allen diesen historischen Wahrheiten, Irrthümern, Dichtungen? Welches ist das endliche Ziel Ihrer Studien und Ihrer Bestrebungen?«
Das ist eine große Frage, Ew. Excellenz, die eine weitläufige Antwort nothwendig macht. In der Kürze wüßte ich sie in der That nicht besser zu beantworten als mit Faust's Worten:

Was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,

Will ich in meinem inneren Selbst erkennen.

»Genießen, wollen Sie sagen.«
Ew. Excellenz halten's zu Gnaden: ich möchte doch bei dem Erkennen bleiben, und mich mit dem Genusse begnügen, den etwa das Erkennen abwirft. Das Erkannte aber möchte ich alsdann durch Lehre und Schrift mittheilen. Übrigens darf ich wohl nicht hinzufügen, daß ich natürlich nur von meinem Wunsch und Willen gesprochen habe; das Vollbringen liegt nur zum kleinsten Theil in des Menschen Hand. Aber in magnis voluisse sat est.
»Ja, ja. Wir haben nunmehr Stoff zu vielen künftigen Unterhaltungen. Aber es ist schon weit am Tage, wir müssen's dießmal unterbrechen.«
„Nun, nun! sagte er dann, wenn Sie in Jena sind, so sind wir ja nahe beieinander und können zueinander und können uns schreiben, wenn etwas vorfällt.“
... seine Besuche sind mir nicht wohltätig, ich kann nicht offen gegen ihm sein, manchmal ist er ganz wie verrückt, und nicht allein mir kommt er so vor, sondern mehreren Menschen.
Die Lüge bleibt immer; sie ist nur abermals zurück geworfen, und zurück geworfen auf die Sache selbst; und wir bekommen stets ein unwahres, ein verzerrtes, ein schiefes und falsches Bild von der früheren Welt. Und besser wäre doch wohl, sich gar nicht um die Vergangenheit zu bekümmern, als falsche, also unnütze und verwirrende Vorstellungen von derselben mit uns herumzutragen. Dadurch werden wir nur verführt, auch die Welt, in der wir leben, falsch aufzufassen, und verkehrt in ihr und auf sie zu wirken.

Sonntag, 12. April 2009

„Man kann nicht wissen, wie sich das dreht und wendet,“ sagte er dann; ich habe manchen hübschen Freund in Berlin, da habe ich denn dieser Tage Ihrer gedacht.“
Es ist mit den Völkern, wie mit den Menschen. Die Völker bestehen ja aus Menschen. Auch sie treten ins Leben, wie die Menschen, treiben's, etwas länger, in gleich wunderlicher Weise, und sterben gleichfalls entweder eines gewaltsamen Todes, oder eines Todes vor Alter und Gebrechlichkeit. Die Gesammtnoth und die Gesammtplage der Menschen ist eben die Noth und die Plage der Völker.
»Alles, was Sie da vorbringen, kann nichts gelten. In der Poesie giebt es keine Widersprüche. Diese sind nur in der wirklichen Welt, nicht in der Welt der Poesie. Was der Dichter schafft, das muß genommen werden, wie er es geschaffen hat. So wie er seine Welt gemacht hat, so ist sie. Was der poetische Geist erzeugt, muß von einem poetischen Gemüth empfangen werden. Ein kaltes Analysiren zerstört die Poesie und bringt keine Wirklichkeit hervor. Es bleiben nur Scherben übrig, die zu nichts dienen und nur incommodiren.«
Eben deßwegen habe ich alles Räsonniren verworfen, und nehme die Handlung rein und lauter, wie sie dargestellt, und jedes Wort, wie es gesprochen worden ist.
»Aber Sie nehmen nur immer die einzelnen Scenen, Sprüche, Wörter, und wollen von dem Ganzen nichts wissen.«
Weil es dem Dichter nicht gefallen hat, uns ein Ganzes zu geben. Wir haben ja nur Bruchstücke.

»Aber eben weil es Bruchstücke sind, müssen sie ja zu einem Ganzen gehören, und im Ganzen poetisch aufgefaßt werden.«
Er fing sogleich an von meinem Manuskript zu reden. „Ich komme eben von Ihnen her, sagte er; ich habe den ganzen Morgen in Ihrer Schrift gelesen; sie bedarf keiner Empfehlung, sie empfiehlt sich selber.“
In meiner Art auf und ab wandelnd, war ich seit einigen Tagen an einem alten Manne von etwa 78 bis 80 Jahren häufig vorübergegangen, der auf sein Rohr mit einem goldenen Knopfe gestützt dieselbe Straße zog, kommend und gehend. Ich erfuhr, es sei ein vormaliger hochverdienter General aus einem alten, sehr vornehmen Geschlechte. Einige Male hatte ich bemerkt, daß der Alte mich scharf anblickte, auch wohl, wenn ich vorüber war, stehen blieb und mir nachschaute. Indeß war mir das nicht auffallend, weil mir dergleichen wohl schon begegnet ist. Nun aber trat ich einmal auf einem Spaziergang etwas zur Seite, um, ich weiß nicht was, genauer anzusehen. Da kam der Alte freundlich auf mich zu, entblößte das Haupt ein wenig, was ich natürlich anständig erwiederte, und redete mich folgendermaßen an: ›Nicht wahr, Sie nennen sich Herr Goethe?‹ – Schon recht. – ›Aus Weimar?‹ – Schon recht. – ›Nicht wahr, Sie haben Bücher geschrieben?‹ – O ja. – ›Und Verse gemacht?‹ – Auch. – ›Es soll schön sein.‹ – Hm! – ›Haben sie denn viel geschrieben?‹ – Hm! es mag so angehen. – ›Ist das Versemachen schwer?‹ – So, so! – ›Es kommt wohl halter auf die Laune an? ob man gut gegessen und getrunken hat, nicht wahr?‹ – Es ist mir fast so vorgekommen. – ›Na schauen S'! da sollten Sie nicht in Weimar sitzen bleiben, sondern halter nach Wien kommen.‹ – Hab' auch schon daran gedacht. – ›Na schauen S'! in Wien ist's gut; es wird gut gegessen und getrunken.‹ – Hm! – ›Und man hält was auf solche Leute, die Verse machen können.‹ – Hm! – ›Ja, dergleichen Leute finden wohl gar – wenn S' sich gut halten, schauen S', und zu leben wissen – in den ersten und vornehmsten Häusern Aufnahme.‹ – Hm! ›Kommen S' nur! Melden S' sich bei mir, ich habe Bekanntschaft, Verwandtschaft, Einfluß. Schreiben S' nur: Goethe aus Weimar, bekannt von Karlsbad her. Das letzte ist nothwendig zu meiner Erinnerung, weil ich halter viel im Kopf habe.‹ – Werde nicht verfehlen. – ›Aber sagen S' mir doch, was haben S' denn geschrieben?‹ – Mancherlei, von Adam bis Napoleon, vom Ararat bis zum Blocksberg, von der Ceder bis zum Brombeerstrauch. – ›Es soll halter berühmt sein.‹ – Hm! Leidlich. – ›Schade, daß ich nichts von Ihnen gelesen und auch früher nichts von Ihnen gehört habe! Sind schon neue verbesserte Auflagen von Ihren Schriften erschienen?‹ – O ja! Wohl auch. – ›Und es werden wohl noch mehr erscheinen?‹ – Das wollen wir hoffen. – ›Ja, schauen S', da kauf' ich Ihre Werke nicht. Ich kaufe halter nur Ausgaben der letzten Hand; sonst hat man immer den Ärger, ein schlechtes Buch zu besitzen, oder man muß dasselbe Buch zum zweiten Male kaufen; darum warte ich, um sicher zu gehen, immer den Tod der Autoren ab, ehe ich ihre Werke kaufe. Das ist Grundsatz bei mir, und von diesem Grundsatz kann ich halter auch bei Ihnen nicht abgehen.‹ – Hm! –
Manchmal sehne ich mich nach einem behaglichen Freund ... Goethe ist selten zu sehen, und immer ist etwas um ihn, entweder eine Wolke, ein Nebel oder ein Glanz, wo man nicht in seine Atmosphäre kann.
Lichtenbergs Wohlgefallen an Karikaturen rührt von seiner unglücklichen körperlichen Konstitution mit her, dass es ihn gefreut, etwas noch unter sich zu erblicken. Wie er sich wohl in Rom gemacht haben würde beim Anblick und Einwirkung der Kunst? Er war keine konstruktive Natur, wie Äsop oder Sokrates; nur auf Entdeckung des Mangelhaften gestellt.
Ich lebte in diesen Liedern ganze Wochen und Monate. Dann gelang es mir, den Wilhelm Meister zu bekommen, dann sein Leben, dann seine dramatischen Werke. Den Faust, vor dessen Abgründen menschlicher Natur und Verderbnis ich anfänglich zurückschauderte, dessen bedeutend-rätselhaftes Wesen mich aber immer wieder anzog, las ich alle Festtage. Bewunderung und Liebe nahm täglich zu, ich lebte und webte Jahr und Tag in diesen Werken und dachte und sprach nichts als von Goethe.
Weit entfernt aber bin ich auch wiederum, zu glauben, daß hiermit nun der ganze innere Goethe gezeichnet sei. Man kann diesen außerordentlichen Geist und Menschen mit Recht einem vielseitigen Diamanten vergleichen, der nach jeder Richtung hin eine andere Farbe spiegelt. Und wie er nun in verschiedenen Verhältnissen und zu verschiedenen Personen ein anderer war, so kann ich auch in meinem Falle nur in ganz beschiedenem Sinne sagen: dies ist mein Goethe.

Samstag, 11. April 2009

Auch eine schädliche Wahrheit ist nützlich, weil sie nur Augenblicke schädlich sein kann und alsdann zu andern Wahrheiten führt, die immer nützlich und sehr nützlich werden müssen. Umgekehrt ist ein nützlicher Irrtum schädlich, weil er es nur augenblicklich sein kann und in andre Irrtümer verleitet, die immer schädlicher werden.
Auch mich hat ein liebes Abenteuer erwartet. Abenteuer? Warum brauche ich das alberne Wort? Es ist nichts Abenteuerliches in einem sanften Zuge, der Menschen zu Menschen hinzieht. Unser bürgerliches Leben, unsere falschen Verhältnisse, das sind die Abenteuer, das sind die Ungeheuer!
Ich war darauf wieder ein Stündchen bei ihm.
Wenn ich aber die reiche Fülle seiner Äußerungen bedenke, die während eines Zeitraumes von neun Jahren mich beglückten, und nun das Wenige betrachte, das mir davon schriftlich aufzufassen gelungen ist, so komme ich mir vor wie ein Kind, das den erquicklichen Frühlingsregen in offenen Händen aufzufangen bemüht ist, dem aber das meiste durch die Finger läuft.

Freitag, 10. April 2009

Eberl schien sich darüber zu wundern, wie Mozart ohne Welt, ohne vielseitiges Wissen doch die Charaktere aus den Dichtungen, die er in Musik gesetzt, so gut habe fassen und halten können.
Es gibt Tugenden, die man, wie die Gesundheit, nicht eher schätzt, als bis man sie vermisst; von denen nicht eher die Rede ist, als wo sie fehlen; die man stillschweigend voraussetzt; die dem Inhaber nicht zugute kommen, weil sie in einem Leiden, in der Geduld bestehen. Sie scheinen, wo sie sind, nur aus einer Abwesenheit von Kraft und Tätigkeit zu bestehen, und sie sind die höchste Kraft, nur nach innen gewandt, und zur Abwehr äusseren Unglimpfs, nur als Gegendruck gebraucht. Hammer zu sein, scheint jedem rühmlicher und wünschenswerter, als Amboss, und doch was gehört nicht dazu, diese unendlichen, immer wiederkehrenden Schläge auszuhalten!
… sein Bube kommt mir auch nicht vor, als könnte er lange leben, gebe der Himmel, dass er nicht vor ihm stirbt, seine Demoiselle, sagt man, betrinkt sich alle Tage, wird aber dick und fett, der arme Goethe, der lauter edle Umgebungen hätte haben sollen! doch hat er auch zwei Naturen.
Ich habe ihn in dieser Zeit ziemlich oft gesehen, und wie kraftlos und ernst ist sein Wesen. Seine Philistrosität, die der prophetische Novalis durch die verschlungenen Gewebe des „Wilhelm Meister“ deutlich erkannt hatte, kommt immer mehr zu Tage, wovon der „Rameau“ – Du kennst ihn gewiss schon – ein treffender Beweis ist.

Dienstag, 7. April 2009

Goethe erklärte, er habe niemals über die Theorien der Poesie anhaltend und ernst nachgedacht; von allen seinen poetischen Werken sei keines mit klarem Verstande dessen, was gemacht werden solle und müsse, sondern bloss durch ein Gefühl, eine Ahnung, das sei das Rechte, entstanden, ohne weiteres Räsonnement darüber.

Donnerstag, 2. April 2009

Die Natur hat offenbar gewollt, daß wir nicht eben unsre körperlichen Kräfte in dem Grade des natürlichen Zustandes erhalten sollten, daß wir schwächer werden sollten, ohne doch darum einzubüßen; denn sie hat uns in der menschlichen Gesellschaft, im Zusammenleben und in der Gewalt des Verstandes eine Stärke zubereitet, die alle Stärke der wildesten Thiere übertrifft. Und gewisse Operationen des Geistes gelingen nicht anders, als bei einer zarteren Organisation.
Ladend und lieblich bist du,
Und Blumen, Mond und Gestirne
Huldigen, Sonne, nur dir.
In Weimar selbst, welch ein verwunschenes Verhältnis des Sohnes zwischen diesem Vater und dieser Mutter. Die Mademoiselle hilft sich, und nennt den Sohn August; aber wie soll der Sohn die Mademoiselle anreden? – Die ganze Haushaltung, wie sie jetzt besteht, ist ungereimt, und muss jedem weh tun, diesem so jenem anders. Darüber sind sich alle eins, dass Goethe diese gemeine Natur nicht heiraten kann …