Dienstag, 22. Juli 2008

Riemer kam späterhin zu uns. Ich erzählte, Schmidt sei von Madame Milder höchst eingenommen, sie übersteige alles, was seine Phantasie sich von einer vollkommenen Sängerin gedacht.
»Ganz natürlich«, sagte Goethe; »denn die Phantasie kann sich nie eine Vortrefflichkeit so vollkommen denken, als sie im Individuum wirklich erscheint. Nur vager, neblicht, unbestimmter, grenzenloser denkt sie sich die Phantasie. Aber niemals in der characteristischen Vollständigkeit der Wirklichkeit. Es erregt mir daher immer Schmerz, wenn man ein wirkliches Kunst- oder Naturgebilde mit der Vorstellung vergleicht, die man sich davon gemacht hatte, und dadurch sich den reinen Genuß des erstern verkümmert. Vermag doch unsere Einbildungskraft nicht einmal das Bild eines wirklich gesehenen, schönen Gegenstandes getreu wiederzugeben; immer wird die Vorstellung etwas Neblichtes, Verschwimmendes enthalten.«
Auf meine Klage, daß diese Beschränkung unsrer Natur uns so viel Herrliches entziehe, erwiderte er: »Ei, das ist ja ein Glück, was würden wir anfangen, wenn alle die unzähligen Empfindungen, die uns z.B. ein Hummel'sches Spiel giebt, uns fortwährend blieben? dann würden ja auch die vergangenen Schmerzen immerfort uns peinigen. Seien wir froh, daß für das Gute, Angenehme doch immer noch ziemlich viele Reproductionskraft in uns wohnt.«

Montag, 21. Juli 2008

Das Gespräch fiel auf Selbstkenntniß. »Ich behaupte, der Mensch kann sich nie selbst kennen lernen, sich nie rein als Object betrachten. Andre kennen mich besser als ich mich selbst. Nur meine Bezüge zur Außenwelt kann ich kennen und richtig würdigen lernen, darauf sollte man sich beschränken. Mit allem Streben nach Selbstkenntniß, das die Priester, das die Moral uns predigen, kommen wir nicht weiter im Leben, gelangen weder zu Resultaten noch zu wahrer innerer Besserung. Doch will ich diese Ansicht nicht eben für ein Evangelium ausgeben. Was sind travers? Falsche Stellungen zur Außenwelt. Wer hat sie nicht? Jede Lebensstufe hat die ihr eignen.«

Freitag, 18. Juli 2008

Mir ist in allen Geschäften und Lebensverwickelungen das Absolute meines Charakters sehr zu statten gekommen; ich konnte Vierteljahre lang schweigen und dulden, wie ein Hund, aber meinen Zweck immer festhalten; trat ich dann mit der Ausführung hervor, so drängte ich unbedingt mit aller Kraft zum Ziele, mochte fallen rechts oder links, was da wollte. Aber wie bin ich oft verlästert worden; bei meinen edelsten Handlungen am meisten. Doch das Geschrei der Leute kümmerte mich nichts. Die Kinder und ihr Benehmen gegen mich waren oft mein Barometer hinsichtlich der Gesinnungen der Eltern.
Einer der interessantesten, behaglichsten und gemüthlichsten Abende unter vielen! Goethe war durchaus heiter, gemäßigt, mittheilend, lehrreich, keine Pique, keine Ironie, nichts Leidenschaftliches oder Abstoßendes.

Donnerstag, 17. Juli 2008

... les amours de ce dernier avec sa vieille haridelle vont toujours grand train ...

Mittwoch, 16. Juli 2008

Der Herzog hat die tödlichste Langeweile, auch beim Goethe, und gähnt den ganzen Tag.

Dienstag, 15. Juli 2008

Ich will keine fremden Gedanken, ich habe an meinen eigenen genug, kann mit diesen nicht fertig werden.

Montag, 14. Juli 2008

Was ein anderer denkt, wie kann mich das kümmern? Ich kann doch nicht wie er denken, weil ich Ich und nicht Er bin. Wie können sich nur die Leute einbilden, dass mich ihr Denken interessieren könnte.

Dienstag, 8. Juli 2008

Riemer sagte: »Ach wie glücklich sind Sie, daß Sie immer so real im Leben stehen konnten; ich komme mit aller Anstrengung nie hinein in's Leben, geschweige durch.«
Da sehen Sie einmal, was das für Zeug ist! Zum Rasendwerden, schön und toll zugleich. Freilich, das will alles umfassen und verliert sich darüber immer ins Elementarische, doch noch mit unendlichen Schönheiten im einzelnen. Da sehen Sie nur, was für Teufelszeug, und hier wieder, was da der Kerl für Anmut und Herrlichkeit hervorgebracht, aber der arme Teufel hat’s auch nicht ausgehalten, er ist schon hin. Es ist nicht anders möglich, wer so auf der Kippe steht, muß sterben oder verrückt werden, da ist keine Gnade.
Übrigens imponiert mir ein Sarg nicht, das könnt ihr euch wohl denken.
Wolltest Herrliches gewinnen,
Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? – Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage

Blutend alles Volk verstummt.
Ei, bin ich denn darum achtzig Jahre alt geworden, dass ich immer dasselbe denken soll? Ich strebe vielmehr täglich etwas anderes, Neues zu denken, um nicht langweilig zu werden. Man muss sich immer verändern, erneuen, verjüngen um nicht zu verstocken.

Sonntag, 6. Juli 2008

Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.
Auch beim nächtlichen Erwachen trat derselbe Fall ein, und ich hatte oft Lust, wie einer meiner Vorgänger, mir ein ledernes Wams machen zu lassen, und mich zu gewöhnen, im Finstern, durchs Gefühl das, was unvermutet hervorbrach, zu fixieren. Ich war so gewohnt, mir ein Liedchen vorzusagen, ohne es wieder zusammenfinden zu können, dass ich einige Mal an den Pult rannte und mir nicht die Zeit nahm, einen quer liegenden Bogen zurecht zu rücken, sondern das Gedicht von Anfang bis zu Ende, ohne mich von der Stelle zu rühren, in der Diagonale herunter schrieb. In eben diesem Sinn griff ich weit lieber zu dem Bleistift, welcher williger die Züge hergab; denn es war mir einige Mal begegnet, dass das Schnarren und Spritzen der Feder mich aus meinem nachtwandlerischen Dichten aufweckte, mich zerstreute und ein kleines Produkt in der Geburt erstickte. Für solche Poesien hatte ich eine besondere Ehrfurcht, weil ich mich doch ungefähr gegen dieselben verhielt, wie die Henne gegen die Küchlein, die sie ausgebrütet um sich her piepsen sieht.
Merlin der Alte, im leuchtenden Grabe,
Wo ich als Jüngling gesprochen ihn habe,
Hat mich mit ähnlicher Antwort belehrt:
Töricht, auf Beßrung der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sich's gehört!
Im Ganzen war er heut' sehr lebhaft, aufgeregt, geistreich, aber mehr ironisch und bizarr als gemüthlich, mehr negativ als positiv, mehr humoristisch als heiter. Nicht leicht habe ich seine Proteus-Natur sich in alle Formen zu verwandeln, mit Allem zu spielen, die entgegengesetztesten Ansichten aufzufassen und gelten zu lassen, anmuthiger hervortreten sehen.

Freitag, 4. Juli 2008

Er ist also jetzt Wirklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter, dabei auch Directeur des Plaisirs, Hofpoet, Verfasser von schönen Festivitäten, Hofopern, Balletts, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken etc., Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die Osteologie gehalten, selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz das fac totum des Weimarschen und, so Gott will, bald der maior domus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht.
„Mieding“ ist fertig, und die Corona bekommt darin einen ganz unverwelklichen Kranz. Schade, dass der Minnesold in neueren Zeiten so teuer ist; wäre er es weniger, sie könnte Goethen nicht anders als mit ihrer Person danken. O! wie wollten wir nicht noch in unseren alten Tagen Verse machen lernen!
Seine Gesundheit ist nicht die beste. Ich wollte überhaupt, dass er aus dieser Galeere wäre.
Il est incroyable comment cet amour peut durer si longtemps, car elle enlaidit à vue d’oeil.
Man muss aber auch gestehen, dass er das wahre enfant gâté der Natur und aller Schicksals-, Glücks- und Zufallsgötter ist …

Mittwoch, 2. Juli 2008

Mit Lavatern mag sie nichts zu tun haben, denn ich merke, der kommt ihr vor, als wenn er Theriak verkaufte. Aber Goethe ist ihr Mann, so wie er der Mann aller gesunden Weiber ist.
Goethe hat einen Adlerblick, der nicht zu ertragen ist.
Im Weggehen sagte Goethe zu Mattei: „Ich danke Ihnen, und sagen Sie ihr, ich danke ihr für das Gute, das ich bei ihr genossen habe. Es ist eine treffliche Frau von Geist und Verstand. Nun sehe ich ein, warum Sie, Mattei, niemand in Lausanne kennen wollen. Jesus! Was könnte diese Frau aus einem machen!“
Nach und nach merkte ich, dass der Dichter sich noch mehr in sich selbst zurück zog; stille wurde, ernsthaft und kalt, wie in einem englischen Spleen dastunde; da dachte ich, vielleicht hat sich irgend ein grosser Gegenstand seiner Seele bemächtiget, und Apollo heisst ihn darüber dichten, und beurlaubte mich.
Mir geht's mit Goethen wunderbar. Nach acht Tagen, wie er mich so heftig verlassen hat, kommt er mit einem Übermaß von Liebe wieder. Ich hab zu mancherlei Betrachtungen durch Goethen Anlaß bekommen; je mehr ein Mensch fassen kann, deucht es mir, je dunkler, anstöß'ger wird ihn das Ganze, je eher fehlt man den ruhigen Weg. Gewiss hatten die gefallnen Engel mehr Verstand wie die übrigen …
Aber o! wie viel mehr könnte, würde der herrliche Geist tun, wenn er nicht in dies unser Chaos gesunken wäre, aus welchem er doch - mit allem seinem Willen, aller seiner Kraft - doch keine leidliche Welt schaffen wird.