Samstag, 28. Juni 2025

 

»Wie leid thut es mir,« sagte ich, »daß ich nicht viel mehr von ihm gekannt habe als sein Äußeres; doch das hat sich mir tief eingeprägt. Ich sehe ihn noch immer auf seiner alten Droschke, im abgetragenen grauen Mantel und Militärmütze und eine Cigarre rauchend, wie er aus die Jagd fuhr, seine Lieblingshunde nebenher. Ich habe ihn nie anders fahren sehen als auf dieser unansehnlichen alten Droschke, auch nie anders als zweispännig. Ein Gepränge mit sechs Pferden und Röcke mit Ordenssternen scheint nicht sehr nach seinem Geschmack gewesen zu sein.«

 

 

»Das ist,« erwiderte Goethe, »jetzt bei Fürsten überhaupt kaum mehr an der Zeit. Es kommt jetzt darauf an, was einer auf der Waage der Menschheit wiegt; alles übrige ist eitel. Ein Rock mit dem Stern und ein Waagen mit sechs Pferden imponirt nur noch allenfalls der rohesten Masse, und kaum dieser. Übrigens hing die alte Droschke des Großherzogs kaum in Federn. Wer mit ihm fuhr, hatte verzweifelte Stöße auszuhalten. Aber das war ihm eben recht. Er liebte das Derbe und Unbequeme und war ein Feind aller Verweichlichung.«

 

Montag, 23. Juni 2025


 

 »Spuren davon,« sagte ich, »sieht man schon in Ihrem Gedicht ›Ilmenau‹, wo Sie ihn nach dem Leben gezeichnet zu haben scheinen.«

»Er war damals sehr jung,« erwiderte Goethe; »doch ging es mit uns freilich etwas toll her. Er war wie ein edler Wein, aber noch in gewaltiger Gärung. Er wußte mit seinen Kräften nicht wo hinaus, und wir waren oft sehr nahe am Halsbrechen. Auf Parforcepferden über Hecken, Gräben und durch Flüsse, und bergauf bergein sich tagelang abarbeiten, und dann Nachts unter freiem Himmel kampiren, etwa bei einem Feuer im Walde: das war nach seinem Sinne. Ein Herzogthum geerbt zu haben, war ihm nichts, aber hätte er sich eins erringen, erjagen und erstürmen können, das wäre ihm etwas gewesen.

Das Ilmenauer Gedicht,« fuhr Goethe fort, »enthält als Episode eine Epoche, die im Jahre 1783, als ich es schrieb, bereits mehrere Jahre hinter uns lag, sodaß ich mich selber darin als eine historische Figur zeichnen und mit meinem eigenen Ich früherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. Es ist darin, wie Sie wissen, eine nächtliche Scene vorgeführt, etwa nach einer solchen halsbrechenden Jagd im Gebirge. Wir hatten uns am Fuße eines Felsens kleine Hütten gebaut und mit Tannenreisern gedeckt, um darin auf trockenem Boden zu übernachten. Vor den Hütten brannten mehrere Feuer, und wir kochten und brieten was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem schon damals die Tabakspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst und ergötzte die Gesellschaft mit allerlei trockenen Späßen, während die Weinflasche von Hand zu Hand ging. Seckendorff, der schlanke mit den langen seinen Gliedern, hatte sich behaglich am Stamm eines Baumes hingestreckt und summte allerlei Poetisches. Abseits in einer ähnlichen kleinen Hütte lag der Herzog im tiefen Schlaf. Ich selber saß davor, bei glimmenden Kohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlungen von Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriften angerichtet. Knebel und Seckendorff erscheinen mir noch jetzt gar nicht schlecht gezeichnet, und auch der junge Fürst nicht in diesem düstern Ungestüm seines zwanzigsten Jahres:

 

Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal,
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmuthiger Bewegung
Ruht er unmuthig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel' und Leib verwundet und zerschlagen,
Auf einem harten Lager ein.»   

 

«So war er ganz und gar. Es ist darin nicht der kleinste Zug übertrieben. Doch aus dieser Sturm- und Drangperiode hatte sich der Herzog bald zu wohlthätiger Klarheit durchgearbeitet, sodaß ich ihn zu seinem Geburtstage im Jahre 1783 an diese Gestalt seiner frühern Jahre sehr wohl erinnern mochte.

Ich leugne nicht, er hat mir anfänglich manche Noth und Sorge gemacht. Doch seine tüchtige Natur reinigte sich bald und bildete sich bald zum Besten, sodaß es eine Freude wurde, mit ihm zu leben und zu wirken.«

»Sie machten,« bemerkte ich, »in dieser ersten Zeit mit ihm eine einsame Reise durch die Schweiz.«

»Er liebte überhaupt das Reisen,« erwiderte Goethe; »doch war es nicht sowohl um sich zu amusiren und zu zerstreuen, als um überall die Augen und Ohren offen zu haben und auf allerlei Gutes und Nützliches zu achten, das er in seinem Lande einführen könnte. Ackerbau, Viehzucht und Industrie sind ihm aus diese Weise unendlich viel schuldig geworden. Überhaupt waren seine Tendenzen nicht persönlich, egoistisch, sondern rein produktiver Art, und zwar produktiv für das allgemeine Beste. Dadurch hat er sich denn auch einen Namen gemacht, der über dieses kleine Land weit hinausgeht.«

 

»Sein sorgloses einfaches Äußere,« sagte ich, »schien anzudeuten, daß er den Ruhm nicht suche, und daß er sich wenig aus ihm mache. Es schien als sei er berühmt geworden ohne sein weiteres Zuthun, bloß wegen seiner stillen Tüchtigkeit.«

»Es ist damit ein eigenes Ding,« erwiderte Goethe. »Ein Holz trennt, weil es Stoff dazu in sich hat und ein Mensch wird berühmt, weil der Stoff dazu in ihm vorhanden. Suchen läßt sich der Ruhm nicht, und alles Jagen danach ist eitel. Es kann sich wohl jemand durch kluges Benehmen und allerlei künstliche Mittel eine Art von Namen machen; fehlt aber dabei das innere Juwel, so ist es eitel und hält nicht auf den andern Tag.

Ebenso ist es mit der Gunst des Volks. Er suchte sie nicht und that den Leuten keineswegs schön; aber das Volk liebte ihn, weil es fühlte, daß er ein Herz für sie habe.«

Goethe erwähnte sodann die übrigen Glieder des großherzoglichen Hauses, und wie durch alle der Zug eines edeln Charakters gehe. Er sprach über die Herzensgüte des jetzigen Regenten, über die großen Hoffnungen, zu denen der junge Prinz berechtige, und verbreitete sich mit sichtbarer Liebe über die seltenen Eigenschaften der jetzt regierenden hohen Fürstin, welche im edelsten Sinne große Mittel verwende, um überall Leiden zu lindern und gute Keime zu wecken. »Sie ist von jeher für das Land ein guter Engel gewesen,« sagte er, »und wird es mehr und mehr, je länger sie ihm verbunden ist. Ich kenne die Großherzogin seit dem Jahre 1805 und habe Gelegenheit in Menge gehabt, ihren Geist und Charakter zu bewundern. Sie ist eine der besten und bedeutendsten Frauen unserer Zeit und würde es sein, wenn sie auch keine Fürstin wäre. Und das ist's eben, worauf es ankommt, daß wenn auch der Purpur abgelegt worden, noch sehr viel Großes, ja eigentlich noch das Beste übrigbleibe.«

Mittwoch, 18. Juni 2025

Samstag, 14. Juni 2025

Sie umschlang ihn mit den ihrigen und drückte ihn auf das zärtlichste an ihre Brust. Die Hoffnung fuhr wie ein Stern, der vom Himmel fällt, über ihre Häupter weg. Sie wähnten, sie glaubten einander anzugehören; sie wechselten zum erstenmal entschiedene, freie Küsse und trennten sich gewaltsam und schmerzlich. 

 

Distichen sind wir. Wir geben uns nicht für mehr noch für minder.
Sperre du immer, wir ziehn über den Schlagbaum hinweg.

Montag, 9. Juni 2025

Das Frauenzimmer kam ihnen auf einem Paar leichten Pantöffelchen mit hohen Absätzen aus der Stube entgegengetreten. Sie hatte eine schwarze Mantille über ein weißes Negligé geworfen, das, eben weil es nicht ganz reinlich war, ihr ein häusliches und bequemes Ansehn gab; ihr kurzes Röckchen ließ die niedlichsten Füße von der Welt sehen.


 

Sonntag, 8. Juni 2025

 

Wir sprachen sodann über die Einheit Deutschlands, und in welchem Sinne sie möglich und wünschenswert.

»Mir ist nicht bange,« sagte Goethe, »daß Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das Ihrige thun. Vor allem aber sei es eins in Liebe untereinander, und immer sei es eins gegen den auswärtigen Feind; es sei eins, daß der deutsche Thaler und Groschen im ganzen Reiche gleichen Werth habe; eins, daß mein Reisekoffer durch alle sechsunddreißig Staaten ungeöffnet passiren könne. Es sei eins, daß der städtische Reisepaß eines weimarischen Bürgers von dem Grenzbeamten eines großen Nachbarstaats nicht für unzulänglich gehalten werde, als der Paß eines Ausländers. Es sei von Inland und Ausland unter deutschen Staaten überall keine Rede mehr. Deutschland sei ferner eins in Maß und Gewicht, in Handel und Wandel, und hundert ähnlichen Dingen, die ich nicht alle nennen kann und mag.

Wenn man aber denkt, die Einheit Deutschlands bestehe darin, daß das sehr große Reich eine einzige große Residenz habe, und daß diese eine große Residenz wie zum Wohl der Entwickelung einzelner großer Talente, so auch zum Wohl der großen Masse des Volks gereiche, so ist man im Irrthum.

Man hat einen Staat wohl einem lebendigen Körper mit vielen Gliedern verglichen, und so ließe sich wohl die Residenz eines Staates dem Herzen vergleichen, von welchem aus Leben und Wohlsein in die einzelnen nahen und fernen Glieder strömt. Sind aber die Glieder sehr ferne vom Herzen, so wird das zuströmende Leben schwach und immer schwächer empfunden werden. Ein geistreicher Franzose, ich glaube Dupin, hat eine Karte über den Kulturzustand Frankreichs entworfen und die größere oder geringere Aufklärung der verschiedenen Departements mit hellern oder dunklern Farben zur Anschauung gebracht. Da finden sich nun besonders in südlichen, weit von der Residenz entlegenen Provinzen einzelne Departements, die in ganz schwarzer Farbe daliegen, als Zeichen einer dort herrschenden großen Finsterniß. Würde das aber wohl sein, wenn das schöne Frankreich statt des einen großen Mittelpunktes zehn Mittelpunkte hätte, von denen Licht und Leben ausginge?

Wodurch ist Deutschland groß als durch eine bewundernswürdige Volkskultur, die alle Theile des Reichs gleichmäßig durchdrungen hat? Sind es aber nicht die einzelnen Fürstensitze, von denen sie ausgeht und welche ihre Träger und Pfleger sind? Gesetzt, wir hätten in Deutschland seit Jahrhunderten nur die beiden Residenzstädte Wien und Berlin, oder gar nur eine, da möchte ich doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stände, ja auch um einen überall verbreiteten Wohlstand, der mit der Kultur Hand in Hand geht.»

«Deutschtand hat über zwanzig im ganzen Reiche vertheilte Universitäten und über hundert ebenso verbreitete öffentliche Bibliotheken, an Kunstsammlungen und Sammlungen von Gegenständen aller Naturreiche gleichfalls eine große Zahl; denn jeder Fürst hat dafür gesorgt, dergleichen Schönes und Gutes in seine Nähe heranzuziehen. Gymnasien und Schulen für Technik und Industrie sind im Überfluß da, ja es ist kaum ein deutsches Dorf, das nicht seine Schule hatte. Wie steht es aber um diesen letzten Punkt in Frankreich?

Und wiederum die Menge deutscher Theater, deren Zahl über siebzig hinausgeht, und die doch auch als Träger und Beförderer höherer Volksbildung keineswegs zu verachten. Der Sinn für Musik und Gesang und ihre Ausübung ist in keinem Lande verbreitet wie in Deutschland, und daß ist auch etwas!

Nun denken Sie aber an Städte wie Dresden, München, Stuttgart, Kassel, Braunschweig, Hannover und ähnliche; denken Sie an die großen Lebenselemente, die diese Städte in sich selber tragen; denken Sie an die Wirkungen, die von ihnen aus die benachbarten Provinzen ausgehen: und fragen Sie sich, ob das alles sein würde, wenn Sie nicht seit langen Zeiten die Sitze von Fürsten gewesen?

Frankfurt, Bremen, Hamburg, Lübeck sind groß und glänzend, ihre Wirkungen aus den Wohlstand von Deutschland gar nicht zu berechnen: würden sie aber wohl bleiben was sie sind, wenn sie ihre eigene Souveränetät verlieren und irgend einem großen deutschen Reiche als Provinzialstädte einverleibt werden sollten? Ich habe Ursache, daran zu zweifeln.«