»Spuren davon,« sagte ich, »sieht man schon in Ihrem Gedicht ›Ilmenau‹, wo Sie ihn nach dem Leben gezeichnet zu haben scheinen.«
»Er war damals sehr jung,« erwiderte Goethe; »doch ging es mit uns
freilich etwas toll her. Er war wie ein edler Wein, aber noch in gewaltiger
Gärung. Er wußte mit seinen Kräften nicht wo hinaus, und wir waren oft
sehr nahe am Halsbrechen. Auf Parforcepferden über Hecken, Gräben und durch
Flüsse, und bergauf bergein sich tagelang abarbeiten, und dann Nachts unter
freiem Himmel kampiren, etwa bei einem Feuer im Walde: das war nach seinem
Sinne. Ein Herzogthum geerbt zu haben, war ihm nichts, aber hätte er sich eins
erringen, erjagen und erstürmen können, das wäre ihm etwas gewesen.
Das Ilmenauer Gedicht,« fuhr Goethe fort, »enthält als Episode eine
Epoche, die im Jahre 1783, als ich es schrieb, bereits mehrere Jahre hinter uns
lag, sodaß ich mich selber darin als eine historische Figur zeichnen und mit
meinem eigenen Ich früherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. Es ist
darin, wie Sie wissen, eine nächtliche Scene vorgeführt, etwa nach einer
solchen halsbrechenden Jagd im Gebirge. Wir hatten uns am Fuße eines Felsens
kleine Hütten gebaut und mit Tannenreisern gedeckt, um darin auf trockenem
Boden zu übernachten. Vor den Hütten brannten mehrere Feuer, und wir kochten
und brieten was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem schon damals die
Tabakspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst und ergötzte die
Gesellschaft mit allerlei trockenen Späßen, während die Weinflasche von Hand zu
Hand ging. Seckendorff, der schlanke mit den langen seinen Gliedern, hatte sich
behaglich am Stamm eines Baumes hingestreckt und summte allerlei Poetisches.
Abseits in einer
ähnlichen kleinen Hütte lag der Herzog im tiefen Schlaf. Ich selber saß davor,
bei glimmenden Kohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlungen von
Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriften angerichtet. Knebel und
Seckendorff erscheinen mir noch jetzt gar nicht schlecht gezeichnet, und auch
der junge Fürst nicht in diesem düstern Ungestüm seines zwanzigsten Jahres:
Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal,
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmuthiger Bewegung
Ruht er unmuthig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel' und Leib verwundet und zerschlagen,
Auf
einem harten Lager ein.»
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