Montag, 23. Juni 2025
»Spuren davon,« sagte ich, »sieht man schon in Ihrem Gedicht ›Ilmenau‹, wo Sie ihn nach dem Leben gezeichnet zu haben scheinen.«
»Er war damals sehr jung,« erwiderte Goethe; »doch ging es mit uns
freilich etwas toll her. Er war wie ein edler Wein, aber noch in gewaltiger
Gärung. Er wußte mit seinen Kräften nicht wo hinaus, und wir waren oft
sehr nahe am Halsbrechen. Auf Parforcepferden über Hecken, Gräben und durch
Flüsse, und bergauf bergein sich tagelang abarbeiten, und dann Nachts unter
freiem Himmel kampiren, etwa bei einem Feuer im Walde: das war nach seinem
Sinne. Ein Herzogthum geerbt zu haben, war ihm nichts, aber hätte er sich eins
erringen, erjagen und erstürmen können, das wäre ihm etwas gewesen.
Das Ilmenauer Gedicht,« fuhr Goethe fort, »enthält als Episode eine
Epoche, die im Jahre 1783, als ich es schrieb, bereits mehrere Jahre hinter uns
lag, sodaß ich mich selber darin als eine historische Figur zeichnen und mit
meinem eigenen Ich früherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. Es ist
darin, wie Sie wissen, eine nächtliche Scene vorgeführt, etwa nach einer
solchen halsbrechenden Jagd im Gebirge. Wir hatten uns am Fuße eines Felsens
kleine Hütten gebaut und mit Tannenreisern gedeckt, um darin auf trockenem
Boden zu übernachten. Vor den Hütten brannten mehrere Feuer, und wir kochten
und brieten was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem schon damals die
Tabakspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst und ergötzte die
Gesellschaft mit allerlei trockenen Späßen, während die Weinflasche von Hand zu
Hand ging. Seckendorff, der schlanke mit den langen seinen Gliedern, hatte sich
behaglich am Stamm eines Baumes hingestreckt und summte allerlei Poetisches.
Abseits in einer
ähnlichen kleinen Hütte lag der Herzog im tiefen Schlaf. Ich selber saß davor,
bei glimmenden Kohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlungen von
Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriften angerichtet. Knebel und
Seckendorff erscheinen mir noch jetzt gar nicht schlecht gezeichnet, und auch
der junge Fürst nicht in diesem düstern Ungestüm seines zwanzigsten Jahres:
Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal,
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmuthiger Bewegung
Ruht er unmuthig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel' und Leib verwundet und zerschlagen,
Auf
einem harten Lager ein.»
«So war er ganz und gar. Es ist darin nicht der kleinste Zug
übertrieben. Doch aus dieser Sturm- und Drangperiode hatte sich der Herzog bald
zu wohlthätiger Klarheit durchgearbeitet, sodaß ich ihn zu seinem Geburtstage
im Jahre 1783 an diese Gestalt seiner frühern Jahre sehr wohl erinnern mochte.
Ich leugne nicht, er hat mir anfänglich manche Noth und Sorge gemacht.
Doch seine tüchtige Natur reinigte sich bald und bildete sich bald zum Besten, sodaß
es eine Freude wurde, mit ihm zu leben und zu wirken.«
»Sie machten,« bemerkte ich, »in dieser ersten Zeit mit ihm eine einsame
Reise durch die Schweiz.«
»Er liebte überhaupt das Reisen,« erwiderte Goethe; »doch war es nicht
sowohl um sich zu amusiren und zu zerstreuen, als um überall die Augen und
Ohren offen zu haben und auf allerlei Gutes und Nützliches zu achten, das er in
seinem Lande einführen könnte. Ackerbau, Viehzucht und Industrie sind ihm aus
diese Weise unendlich viel schuldig geworden. Überhaupt waren seine Tendenzen
nicht persönlich, egoistisch, sondern rein produktiver Art, und zwar produktiv
für das allgemeine Beste. Dadurch hat er sich denn auch einen Namen gemacht,
der über dieses kleine Land weit hinausgeht.«
»Sein sorgloses einfaches Äußere,« sagte ich, »schien anzudeuten, daß er
den Ruhm nicht suche, und daß er sich wenig aus ihm mache. Es schien als sei er
berühmt geworden ohne sein weiteres Zuthun, bloß wegen seiner stillen
Tüchtigkeit.«
»Es ist damit ein eigenes Ding,« erwiderte Goethe. »Ein Holz trennt,
weil es Stoff dazu in sich hat und ein Mensch wird berühmt, weil der Stoff dazu
in ihm vorhanden. Suchen läßt sich der Ruhm nicht, und alles Jagen danach ist
eitel. Es kann sich wohl jemand durch kluges Benehmen und allerlei künstliche
Mittel eine Art von Namen machen; fehlt aber dabei das innere Juwel, so ist es
eitel und hält nicht auf den andern Tag.
Ebenso ist es mit der Gunst des Volks. Er suchte sie nicht und that den
Leuten keineswegs schön; aber das Volk liebte ihn, weil es fühlte, daß er ein
Herz für sie habe.«
Goethe erwähnte sodann die übrigen Glieder des großherzoglichen Hauses,
und wie durch alle der Zug eines edeln Charakters gehe. Er sprach über die
Herzensgüte des jetzigen Regenten, über die großen Hoffnungen, zu denen der
junge Prinz berechtige, und verbreitete sich mit sichtbarer Liebe über die
seltenen Eigenschaften der jetzt regierenden hohen Fürstin, welche im edelsten
Sinne große Mittel verwende, um überall Leiden zu lindern und gute Keime zu
wecken. »Sie ist von jeher für das Land ein guter Engel gewesen,« sagte er,
»und wird es mehr und mehr, je länger sie ihm verbunden ist. Ich kenne die
Großherzogin seit dem Jahre 1805 und habe Gelegenheit in Menge gehabt, ihren
Geist und Charakter zu bewundern. Sie ist eine der besten und bedeutendsten
Frauen unserer Zeit und würde es sein, wenn sie auch keine Fürstin wäre. Und
das ist's eben, worauf es ankommt, daß wenn auch der Purpur abgelegt worden,
noch sehr viel Großes, ja eigentlich noch das Beste übrigbleibe.«